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Das Schreiben: Ein kreativer Prozess

Sieht man sich Literatur über den Prozess des Schreibens an, wird schnell klar, dass es dafür kein Patentrezept gibt. Die einen schreiben morgens zwischen fünf und sieben Uhr, andere erst nach dem dritten Whisky. Geschrieben wird im Bett, im Zug, nahezu an allen möglichen Orten zu beliebigen Uhrzeiten. Der Akt des Schreibens ist so vielfältig wie die Menschen selbst und die Texte, die dabei entstehen.

Ich selbst schreibe gerne abends, wenn es draußen dunkel ist und Ruhe herrscht. Das hilft mir, meine Vorstellungen zu visualisieren und eine Szene auszugestalten. Das schließt nicht aus, zu früher Stunde im Bett gute Ideen zu entwickeln. Im Folgenden ein paar Punkte, die für meine Schreibroutine gut funktionieren und die ich daher empfehlen kann.

Das erste Buch zu schreiben, ist ein Prozess, der mich an die Geschichte mit dem Frosch erinnert. Nachdem dieser in einen Bottich Sahne gefallen war, rettete er sich, indem er so lange schwamm, bis er schließlich auf einem Berg Butter saß. Der Debütautor befindet sich in einer ähnlichen Situation: Er springt in ein Becken voller Ungewissheiten, und die Chance auf festen Boden unter den Füßen steigt nur, indem er zusammenhängende Sätze schreibt. Es gibt zwar die Notleiter in Form des Ausstiegs oder der Aufgabe, aber mit der ist meist auch die Aufgabe aller schriftstellerischen Ambitionen verbunden.

Wie schreibe ich? Wo kommen die Sätze her? Es gibt dieses klischeebehaftete Bild des Schriftstellers, der Stunden vor einem leeren Blatt sitzt und kein Wort aufs Papier bringt. „Schreibblockade“, tönt es aus dem Hintergrund. Nein, das ist es eher nicht. Ich vermute, eine echte Schreibblockade erfordert lange Jahre des Schreibens, bis der Kopf sich wehrt, weil eigentlich alles gesagt ist. Bei einem Debütroman dagegen produziert man meist mehr Ideen, als dem Manuskript guttut.

Das anfängliche Zögern hat nach meiner Erfahrung eher damit zu tun, die eigenen Einfälle gleich mit gelungener Formulierung und in der richtigen Reihenfolge niederschreiben zu wollen. Irgendwann hat man gelernt, dass die erste Fassung eines Texts nicht umsonst Rohfassung heißt, auf die noch Überarbeitungen folgen. Daher ist es besser, einfach loszuschreiben und den stetigen Fluss von Gedanken durch die Hand aufs Papier zu bringen.

Es gibt ein paar Techniken, die helfen. Eine meiner wichtigsten: Lebe mit der Szene, die du schreibst! Oder besser: Erlebe sie. Konkret heißt das: Wenn du den Eindruck hast, dass das, was du erzählen oder darstellen willst, nicht anschaulich genug rüberkommt, lehne dich zurück, pack den Füller weg, koch dir einen Tee, mach ein Bier auf oder schenk dir ein Glas Wein ein. Dann lass die Szene bildhaft in deiner Vorstellung ablaufen. Das gibt dir nicht nur neue Facetten der Beschreibung, sondern oft auch ein paar zusätzliche Ideen, die Handlung weiter oder im Detail zu entwickeln. Wichtig ist dabei, es nicht zu zwingen. Manchmal muss man solch eine Szene, wenn sie entscheidend ist, über mehrere Tage mit sich herumtragen und versuchen, die eigene Fantasie wieder und wieder da hinein zu schicken.

Was ich im Lauf meines ersten Romans auch erlebt habe, war das Gegenteil des Beschriebenen. Situationen fern ab vom Schreibtisch, in denen ich spontan anfing zu formulieren: beim Frühstück, beim Sport, unter der Dusche oder sonst wo. Auf einmal häufen sich in vollendete Sätze gefasste Gedanken, die nach Festhalten schreien, und den Gefallen tut man ihnen. Das erfordert allerdings immer und überall ein Blatt Papier plus Stift in Reichweite. Formulierungen sind flüchtig wie Träume. Wer sie nicht sofort festhält, verliert sie genau so schnell, wie sie aus dem Nichts auftauchen.

Wenn man Glück hat, kann das richtig produktiv werden. Es fängt an mit einer Notiz oder einer kurzen Formulierung, die es wert scheint, aufgeschrieben zu werden. Daraus wird spontan ein Absatz, ein Abschnitt oder vielleicht eine ganze Seite – aus dem Nichts, dem Herz und der Fantasie entsprungen. Oder doch nur dem Stift? Das sind die Gelegenheiten, die wichtig sind wahrzunehmen. Das Ursprüngliche, das Ungefilterte. Panta rhei – Alles fließt. Wohl dem, der ungehemmt fließen lassen kann. Was der Erguss wirklich taugt, wird die kritische Betrachtung am Tag danach zeigen.

Überhaupt: der Tag danach … Ein wertvolles Instrument der Kontrolle. Ich erinnere mich nur ungern an meine Zeit bei der Bundeswehr. Im Gedächtnis ist mir aber die Regelung geblieben, Beschwerden erst einen Tag nach dem eigentlichen Vorfall schreiben zu dürfen. Das hat einen Sinn. Es legt sich nicht nur die Aufregung, sondern der Blick wird nach einer Nacht wieder klarer, und manche Dinge sehen dann doch anders aus.

Ich habe für mich daraus die Tausend-Wörter-Regel abgeleitet. Maximal tausend Wörter am Tag sind genug. Manchmal kommt man in eine Art „Flow“, und die Wörter rinnen wie nichts aus der Feder. Leider lässt häufig die Konzentration nach. Am nächsten Tag stellt sich bei kritischem Lesen heraus, dass das letzte Drittel des geschriebenen Texts nicht den eigenen Ansprüchen genügt. Die Korrektur ist oft mühsamer und unbefriedigender, als wenn man gleich früh genug aufgehört und am nächsten Tag mit frischem Kopf weitergemacht hätte. Im Einzelfall mag das anders aussehen, aber grundsätzlich sollte man in der täglichen Arbeit die eigenen Grenzen kennen.

Zu viel zeitliche Distanz ist auch schädlich. Ich spreche von den 30 Jahren, die das Exposé in einer Dachbodenkiste reifte, bevor ich es zur Grundlage meines Romans machte. Da war einiges vom Handlungsablauf und von den Dialogen gut geschrieben, aber irgendwie passte es nicht. Letztlich erwies sich als besser, diese Textabschnitte gründlich zu lesen, die Sache eine Nacht ruhen zu lassen und dann die Szenen neu zu schreiben. Sie fügen sich in die Geschlossenheit des Manuskripts deutlich homogener ein als eine halbherzig erweiterte oder umgeschriebene Version des alten Bestandstexts.

Was das Schreiben im Allgemeinen angeht, stehen noch zwei bemerkenswerte Punkte in meinem Autoren-Tagebuch. Einer betrifft den Einstieg, der andere die Endphase.

Als ich anfing zu schreiben, also tatsächlich einen Stift in der Hand und ein Blatt Papier vor mir hatte, war mir ein Rätsel, wie man ein Buch mit mehreren hundert Seiten schafft. Aber je mehr und kontinuierlicher ich geschrieben habe, desto länger wurden die Absätze und Szenen. Beschreibungen und Stimmungen gewinnen an Details, Gefühle an Ausdruck. Bei den Dialogen ist Vorsicht geboten, die werden gerne geschwätzig.

Erklären lässt sich dieses Phänomen dadurch, dass sich nach und nach ein innerer Rhythmus einstellt und ein Gefühl dafür, wie lange der Leser physisch in einer Szene gehalten werden muss, damit diese glaubhaft wird und im Ablauf der Erzählung die richtige Relevanz bekommt. Ein Autor mit etwas Erfahrung kann fast jede Szene ausführlicher darstellen, als es nur für das Verständnis notwendig ist.

Eine andere Merkwürdigkeit ist das Nicht-fertig-werden-wollen. Die Rohfassung des Manuskripts ging dem Ende zu, und die letzten drei Szenen waren klar, teilweise schon grob ausformuliert. Trotzdem vertrödelte ich jede Menge Zeit mit Korrekturen und Verbesserungen am bisher geschriebenen Text. Was mir dazu einfällt? Möglicherweise wollte ich gar nicht fertig werden, weil ich mich an das regelmäßige Schreiben gewöhnt hatte. Ich wusste, dass danach Aufgaben anlagen, auf die ich deutlich weniger Lust hatte, weil sie Entscheidungen erforderten, mit denen ich mich nicht auskannte. Ich lebte offensichtlich ganz gerne in meiner Schreibblase.

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