Buch schreiben: Textumfang und Struktur (Länge, Wortanzahl, Kapitel)
Schreiben ist zunächst ein qualitativer Prozess. Eine Geschichte soll mit dem persönlichen Stil des Autors in möglichst passende Worte und gelungene Sätze gefasst werden, die den Leser packen. Schreiben hat aber auch einen quantitativen Aspekt.
Wie schon früher gesagt, konnte ich mir anfangs nicht vorstellen, so viele Seiten zu schreiben, dass ein „richtiges“ Buch entstehen würde. Aber was ist eigentlich ein „richtiges“ Buch? Wie viele Seiten machen es aus? Und ist eine Seite immer eine Seite?
Der Blick in zehn wahllos aus dem Regal gezogene Bücher zeigt, dass nichts ist, wie es scheint. Die Variablen sind vielfältig: Buchformat, Papierdicke, Textspiegel und Randabstände, Schriftgröße, Laufweite, Zeilenabstände und noch ein paar mehr. So gesehen ist weder die Dicke bzw. das Volumen eines Buchs noch die Seitenzahl ein verlässlicher Anhaltspunkt. Schon von der Logik her ist die Anzahl der Wörter ein besserer Indikator.
Laut Duden hat ein deutsches Wort im Schnitt sechs Buchstaben. Aber welcher Romanautor schreibt Durchschnitt? Je ausgefeilter die Sprache, desto größer die Tendenz zu längeren Wörtern. Haben die Wörter im Schnitt sieben Buchstaben, wächst das Volumen des Manuskripts rechnerisch um gut 15 Prozent und ein Buch theoretisch von 300 auf 350 Seiten.
Die verlässlichste Einheit für Textlänge ist also die kleinste: der Buchstabe bzw. das Zeichen unter Einbeziehung der Leerzeichen oder Wortzwischenräume. Tatsächlich beziehen sich viele Institutionen im Literatur- und Textbetrieb auf dieses Maß. So hat eine Normseite 1.800 Zeichen, und viele Redaktionen definieren darüber die Länge ihrer gewünschten Texte.
Trotzdem gibt es gute Gründe, für den eigenen Bedarf mit der Anzahl der Wörter zu rechnen. Bei den Zeichen werden die Zahlen schnell groß, unhandlich und schwer zu merken. Außerdem geht es eher um eine Größenordnung als um die Notwendigkeit einer exakten Zahl.
Zurück zur Frage: Ab wie vielen Wörtern ist ein Buch ein richtiges Buch?
Manche Verlage fordern bei Einreichung unverlangter Manuskripte ein Minimum von 65.000 Wörtern (und nehmen sie trotzdem nicht). Vorsicht: Das könnte ein Mindestmaß sein, ist es aber nicht. Möglicherweise wollen die Verlage damit die Flut der unverlangten Manuskripteinsendungen reduzieren. Es gibt Verlagsreihen wie Wagenbach SALTO, deren besonderes Kennzeichen die Beschränkung auf 96 oder 144 Seiten ist (mit Ausnahmen). In einer überschlägigen Schätzung kommt man da auf 20 bzw. 30.000 Wörter. Trotzdem sind das vollwertige, liebevoll gemachte Bücher.
Viele Verlage scheuen sich wiederum vor richtig umfangreichen Büchern, weil die Produktionskosten der Printformate mit zunehmender Seitenzahl stärker steigen als der beim Käufer durchsetzbare Verkaufspreis. Sie verdienen weniger an dicken Büchern, deshalb muss da schon ein bekannter Autor auf dem Titel stehen. Oder der Verlag rechnet aus anderen Gründen mit einem Bestseller.
Nicht zuletzt schrecken manche Leser vor dicken Büchern zurück. Die gelten als langatmig oder kompliziert, und bis das erlösende Ende erreicht ist, muss man sich alle Geschehnisse und Namen merken, die auf den hunderten Seiten vorkommen. Natürlich gibt es auch das Gegenteil: Menschen, die lange Romane lieben. Aber ich vermute, die Letzteren sind in der Minderheit.
All das ging mir durch den Kopf bei der Überlegung, welche Länge bei meinem Buch angebracht sei. Schließlich entschied ich mich, dem Roman seinen eigenen Lauf zu lassen und einfach abzuwarten, wohin er sich in Sachen Umfang entwickelt.
Ein erstes Gefühl dafür bekommt man, wenn es für die Geschichte einen fertigen Plot und eine Erzählstruktur gibt, was bei mir aufgrund des überarbeiteten Exposés der Fall war. Ich kann das nur empfehlen. Die Arbeit am Buch wird in den meisten Aspekten erheblich vereinfacht, wenn klar ist, wo die Reise hingeht. Erzählstruktur heißt übrigens, einen Überblick zu haben, welche Szenen welche Relevanz haben und in welcher Ausführlichkeit sie erzählt werden müssen. Besondere Aufmerksamkeit brauchen dabei die potenziellen Dialoge, die selbst Szenen mit vergleichsweise wenig Handlung deutlich länger werden lassen. Gerade bei kurzen Wortwechseln ist jeweils eine neue Zeile angesagt, und ratzfatz ist wieder eine Seite voll.
Dieses erste Gefühl ist wichtig. Lässt es einen mit dem Eindruck zurück, die Geschichte braucht mehr Breite, um den Leser zu erreichen, sollte zu diesem frühen Zeitpunkt gehandelt werden. Meine Erfahrung: Jeden Satz ein bisschen länger zu machen, bringt nichts. Besser ist zu überlegen, welche Szenen, Abschnitte oder Dialoge Potenzial für inhaltliche Erweiterung haben. Beschreibungen (Personen, Situationen, Gegenstände) eignen sich gut dafür, noch besser Dialoge. Wenn es hart auf hart geht, hilft eine weitere Szene. Vielleicht könnte der Protagonist einen alten Kumpel treffen, dem er das Herz ausschüttet. Das sind im Übrigen ideale Momente, die aktuelle Situation in einem Dialog zusammenzufassen. Damit kommen auch die Leser wieder auf den Stand der Dinge, die den Faden verloren hatten.
Die Stunde der Wahrheit schlägt beim erstmaligen Konvertieren des geschriebenen Texts in ein Buchformat. Die Autorensoftware Papyrus bietet dafür eine Anzahl von Vorlagen, die sich an den verschiedenen Formaten des Buchbetriebs und Verlagswesens orientieren. Ein gängiges Taschenbuchformat ist zum Beispiel 12 x 19 cm. Für mich die erste Wahl.
Ein paar interessante Punkte zeigten sich. Die Anzahl der Seiten lag ungefähr 15% über der von mir berechneten, vermutlich resultierend aus Absätzen und aus Dialogen. Im Manuskript zählen nur Wörter, im Buch kommen bei Dialogen die vielen Zeilenwechsel jeweils mit Einzügen dazu. Außerdem die Leerzeilen bei den Absätzen.
Irgendwann habe ich aus reiner Neugier eine kleine Recherche gemacht und eine Reihe Taschenbücher aus verschiedenen Verlagen untersucht. Ich analysierte die Anzahl der Zeilen auf einer Seite, die Zeilenabstände und die Schriftgröße. Dabei zeigte sich, dass nahezu überall die Buchseiten Normseiten entsprachen. Selbst bei größeren Formaten glichen die Schriftgrößen und Randabstände das zusätzliche Platzangebot aus. Als ich später die endgültige Taschenbuchausgabe meines Buchs in der Hand hielt, war das dort genauso. Auch da waren es im Schnitt 1.560 Zeichen inklusive Leerzeichen, was einer Normseite von 30 Zeilen mit je 60 Anschlägen entspricht, wenn man die Einzüge und Zeilenumbrüche (bzw. die Wortabstände beim Blocksatz) berücksichtigt.
An dieser Stelle zwei Hinweise: Die Titelei (Titelblatt, Impressum, Inhaltsverzeichnis etc.) am Anfang eines Buchs hat üblicherweise keine Seitenzahlen. Sie zählt aber mit rund sieben Seiten (je nach Länge des Inhaltsverzeichnisses und Widmung) zur Gesamtseitenzahl.
Jedes Kapitel verlängert das Buch um eine halbe Seite, die am Kapitelende im Schnitt leer bleibt zuzüglich einer weiteren viertel Seite im Umfeld der Kapitelüberschrift. 20 Kapitel im Buch bringen demnach etwa 15 zusätzliche Seiten. Wenn man’s drauf anlegt, lassen sich also weitere Seiten durch die Aufteilung in mehr Kapitel schinden.
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