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Testleser beim Buch schreiben:

Meine Testleser-Crew waren zehn Leute aus der Verwandtschaft und dem Freundeskreis. Das ist die harmlose Version. Die verschärfte klingt so: Sie bestand aus fünf Frauen, darunter (Achtung Mehrfachnennungen) Germanisten, Buchhändler, eine Autorin von politischen Sachbüchern mit Lektoratserfahrung, eine Lehrerin und eine Psychoanalytikerin. Weiterhin fünf Männer, davon zwei Filmleute, die sich mit Dramaturgie und schönen Bildern auskennen.

Ein so geballtes Potenzial an kritischer Kompetenz und Leselust machte mir beinahe Angst. Aber da musste ich durch.

Ich hatte mir ein mehrstufiges Verfahren ausgedacht. Während die Leseexemplare im Druck waren, schickte ich allen potenziellen Testlesern per E-Mail einen Flyer mit Titelbild und Umschlagtext zusammen mit den ersten beiden Kapiteln als Leseprobe. Damit sollte eine Situation ähnlich wie im Laden geschaffen werden. Die Testleser können sich eine Vorstellung vom Cover und vom Inhalt verschaffen, bevor sie sich entscheiden, das ganze Buch zu lesen.

Im Anschreiben bat ich explizit darum, dass diejenigen, die in der Buchhandlung das Buch auf Basis dieser Infos wieder weggestellt hätten, das auch hier tun. So wollte ich vermeiden, Testleser zu der Lektüre eines Buchs zu zwingen, das sie sich im sonstigen Leseleben niemals zugemutet hätten. Es macht keinen Sinn, jemanden einen Thriller lesen zu lassen, der dieses Genre hasst.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten und waren durch die Bank positiv. Alle wollten das gedruckte Leseexemplar zum Weiterlesen – ein gutes Zeichen.

Im nächsten Schritt verschickte ich die zehn Leseexemplare. Eines behielt ich als Referenz für mich, damit ich die zu erwartenden Kritikpunkte mit Angabe von Seite und Absatz finden konnte.

Parallel hatten die unterschiedlichen Kommentare zur Leseprobe gezeigt, dass es die Sache vergleichbarer und einfacher macht, wenn ich Teile der kommenden Einschätzungen und Wertungen formalisiere. Ich entwickelte einen kurzen Fragebogen, mit dem ich das Feedback strukturieren und statistisch auswerten konnte. Die erste Idee, als „Formular“ ein online ausfüllbares PDF zu nutzen, habe ich schnell aufgegeben. Eine E-Mail, bei der man nur auf „antworten“ klicken muss, um im Zwischenraum der Fragen seine Antworten reinzuschreiben, war die bessere Alternative.

Von früheren Erfahrungen mit Umfragen wusste ich, dass Fragen eindeutig formuliert werden müssen und die Antwort keine intellektuellen Klimmzüge erfordern darf. Deshalb entschied ich mich für eine Kombination aus Bewertungsfragen mit Bitte um Vergabe von (Amazon-) Sternen, um Angabe der jeweils drei besten und schlechtesten Szenen in Form von Stichpunkten und einem zusätzlichen freien Textfeld. Da konnte jeder reinschreiben, was ihm sonst noch zum Buch einfiel.

Das Ganze hatte den Vorteil, dass ich so von allen ein umfassendes Bild über die mich interessierenden Fragen bekam. Für manche Leser ist es ja nebensächlich, wie das Buch von außen aussieht. Aber auch von denen will man eine Einschätzung, inwieweit die Umschlaggestaltung als gelungen empfunden wird.

Die Rückmeldungen erstreckten sich über einen Zeitraum von einem Monat nach Versand der Leseexemplare. Ein Testleser hatte das Buch am Abend nach Eintreffen komplett durchgelesen. So was nenne ich ermutigend!

Mit den Antworten auf die standardisierten Fragen war ich wirklich zufrieden. Die Punkt- Bewertungen lagen überraschend nah beieinander. Dabei zeigte der Daumen insgesamt nach oben. Spätere externe Bewertungen bestätigten das. Aber auch sonst erwies sich das Feedback als ausgesprochen interessant.

Schon nach den Rückläufen der Hälfte der zehn Testleser las ich unterschiedlichste Kommentare im freien Textfeld. Die einen gingen mehr auf den Stil, andere mehr auf die Rechtschreibung und Satzbau ein. Wieder andere machten Anmerkungen zu bestimmen Teilen des Inhalts. Dabei zeigten sich erstaunlich wenige Überschneidungen. Lediglich zwei Testleser hatten übereinstimmend Probleme mit dem Ende des ersten Kapitels. Beide empfanden die Verbindung zwischen Steve und seinem Großvater als nicht intensiv genug beschrieben. Das war auf direkte Nachfrage den Übrigen nicht aufgefallen. Trotzdem habe ich diese Stelle nochmals ausführlicher geschrieben, was der Sache sicher gutgetan hat.

Bemerkenswert fand ich folgende Aussage eines Testlesers. Er schrieb, wenn ich nicht ausdrücklich um eine differenzierte Begutachtung gebeten hätte, wäre seine Bewertung besser ausgefallen. Offensichtlich sind Familienmitglieder oder Freunde als Testleser sogar bereit, kritischer bzw. schlechter zu bewerten. Was sich deutlich zeigt: Sie setzen sich mit dem Text gründlicher auseinander als bei einem Buch ohne Bezug zum Autor.

Widerstände bekam ich seitens einer Testleserin zu spüren, die sich dagegen wehrte, „Punkte“ bzw. „Sterne“ zu vergeben, weil dies eine Bewertung unangemessen verkürze. Auf meine Bitte hin hat sie es doch gemacht, aber das Argument gab mir zu denken. Immerhin bot das freie Textfeld alle Möglichkeiten, die Vergabe der „Sterne“ zu erläutern und Kommentare jeder Richtung anzuhängen.

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Photo by Hosein Ashrafosadat on Unsplash