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Buch schreiben: Stil und Textanalyse

In diesem Beitrag geht es nicht um die individuellen Stilmerkmale eines Autors, sondern um Hinweise für „gute“ Schriftsprache, die in den meisten Schreibratgebern als relevant genannt werden. Auch die Autorensoftware Papyrus Autor, mit der ich meinen ersten Roman geschrieben habe, verfügt über eine eigene Stilanalyse. Die erstreckt sich auf mehr als zehn verschiedene Kategorien. Es gibt aber noch weitere stilistische Stolpersteine, die mir auffielen, nachdem ich mich bei bestimmten Stellen im Manuskript immer wieder fragte, warum das so unrund klingt.

Fangen wir mit der softwarebasierten Stilanalyse an. Ich war weit im zweiten Kapitel fortgeschritten, als ich die Stilanalyse zum ersten Mal aktivierte. Die Anleitung im Handbuch hatte ich mir erspart, und entsprechend groß war der Schock. Die Seiten meines Manuskripts färbten sich gefühlt in sämtlichen Farben des Regenbogens ein und zeichneten im Detail alle grafischen Bestandteile eines elektrischen Schaltplans: Linien, Kreise und Rechtecke und die jeweils dick bzw. dünn, durchgehend oder gestrichelt, manchmal auch gepunktet und im schlimmsten Fall das Wort gleich ganz durchgestrichen.

Nach dem ersten Schreck wagte ich einen Blick ins Handbuch und las von „vagen Begriffen“, „Verbfaulheit“, „Phrasen“, „Wortwiederholungen“, „verklebten Sätzen“ und manchem mehr. Ich sah aber auch, dass unterschiedliche Stufen von „Strenge“ einstellbar sind und die verschiedenen Kategorien nicht alle die gleiche Relevanz besitzen.

Um ein Gefühl zu bekommen, wo die Standards einzuordnen sind, prüfte ich probeweise damit je ca. 1.000 Wörter aus einem Buch von Haruki Murakami und aus einem von John Grisham. Da kam echte Freude auf, weil es fast genau so aussah wie in meinem Text. Entweder kochen diese Starautoren auch nur mit Wasser, den Übersetzern bzw. Lektoren war es egal oder die Kirche bleibt einfach im Dorf. Ich tendiere zu Letzterem. Alles in allem hat mich dieser Versuch außerordentlich beruhigt und das, was kommen würde, in Verhältnisse gesetzt.

Das bedeutet mitnichten, dass eine Stilanalyse, egal ob softwarebasiert oder dem eigenen Gehirn zugemutet, unwichtig ist. Die Angelegenheit wird dadurch schwieriger, dass ständig Abwägungen zwischen einem formalen Stildiktat und der Authentizität des Autors getroffen werden müssen. Bevor man widerstandslos alles ändert und wegstreicht, was die Stilanalyse einem als überflüssig und schlecht um die Ohren haut, sollte man die ursprüngliche Fassung in einem Backup hinterlegen. Oft zeigt sich, dass zu viel vom eigenen Schreibstil verloren geht und die Sätze zwar kurz und klar, aber leblos werden. Extrem kritisch ist das innerhalb der Dialoge, weil so, wie das Programm es gerne hätte, kein normaler Mensch redet.

Nun kann man eine maschinelle Stilanalyse stärker oder schwächer einstellen bzw. ganz ausschalten – für die direkte Rede auch getrennt. Die für mich ergiebigste Variante ist, die Analyse auf den höchsten Level einzustellen, um dann gezielt die Wörter oder Satzteile zu korrigieren, wo es sinnvoll erscheint. Die wertvollsten Kategorien innerhalb der Stilanalyse sind dabei die Wortwiederholung und die Füllwörter.

Wortwiederholungen sind unschön, irritieren den Leser und zeugen von gedankenlosem Schreiben. Nun gibt es Begriffe, die sind so eindeutig, dass sie auch in längeren Texten schwer variiert werden können. Spontan fällt mir als Beispiel der „Lötkolben“ ein. Da gibt es im Deutschen kein vernünftiges Synonym. Für 99% der Substantive und Verben in einem Roman existiert wiederum eine Reihe von Alternativen, und statt Wiederholungen sollte man die benutzen. Schwierig wird es, wenn die Häufung nicht im selben oder nächsten Satz passiert, sondern eine ganze Ecke weiter. In der Papyrus-Software kann man die Anzahl der zu prüfenden Zeilen davor und danach einstellen, und das ist eine großartige Sache. Mit Rechtsklick auf das wiederholte Wort werden auch dessen Synonyme angegeben. Kleiner Tipp: Manchmal macht es Sinn, zusätzlich den Thesaurus im Duden zu Rate zu ziehen.

Es gibt Bestandteile eines Texts, die weggelassen werden können, ohne dass der Sinn verloren geht: die sogenannten Füllwörter. Die sind ein heißes Eisen, weil hier das oben beschriebene Phänomen auftritt, dass das Ausmerzen aller Füllwörter zu blutleeren Sätzen führt, zumal das „alle“ hier reichlich vage ist. Wie unterschiedlich diese Problematik gehandhabt wird, zeigt die große Menge an Füllwörter-Sammlungen, die sich auf Webseiten finden lassen. Keine gleicht der anderen. Viele angebliche Füllwörter tauchen nur in einer Zusammenstellung auf.

Was tun? Nachdem sich meine erste Verwirrung gelegt hatte, bin ich strategisch vorgegangen. Aus ungefähr zehn Sammlungen im Netz habe ich alle Begriffe in eine Excel-Liste gepackt und diese alphabetisch sortiert. Alle Füllwörter, die häufiger als fünf Mal untereinanderstanden, übernahm ich in meine eigene Liste. Diejenigen, die nur ein- oder zweimal auftauchten, wurden gestrichen, beim Rest habe ich individuell entschieden.

Die Füllwörter auf meiner Liste habe ich dennoch nicht über die Suchfunktion im Text gelöscht, sondern mir jeweils im Kontext angeschaut. Wir reden im Übrigen vom Text und nicht von den Dialogen, wo Füllwörter durchaus eine Berechtigung haben, nämlich dann, wenn sie zur Sprache des Protagonisten passen.

Von 62.230 Wörtern auf 250 Seiten im Taschenbuch habe ich 409 Füllwörter gestrichen. Diejenigen, die ich durch andere Begriffe oder Formulierungen ersetzt habe, sind nicht mitgerechnet. Das Buch wurde dadurch eineinhalb Seiten kürzer.

Beim Schreiben des Buchs lernte ich auch die „schwachen“ Begriffe kennen. Das sind Wörter, die etwas korrekt bezeichnen, oft aber generalisierenden Charakter haben. So wie „Fahrzeug“ für Sportwagen, Elektroauto oder LKW steht, kann man statt „bewegen“ auch tanzen, schleichen oder kriechen sagen. Darauf hinzuweisen, hat beinahe etwas Banales, weil jeder Autor von sich aus den Anspruch hat (oder haben sollte), eine präzise und anschauliche Sprache in seinen Texten zu gebrauchen.

Trotzdem ist nicht zu unterschätzen, in welchem Maß man dazu neigt, die einfacheren Wörter zu benutzen. Ein gutes Beispiel sind Distanzwörter wie „sehen“ und „hören“. Ich war überrascht, wie oft diese Wörter in meinem Manuskript auftauchten und wie der Text gewann, als ich sie durch präzisere und der Handlung nähere Verben austauschte.

Die Krönung der schwachen Begriffe ist für mich das Wort „sehr“. Zu Schulzeiten war die Note „sehr gut“ zwar erstrebenswert, aber damit hat es sich auch. „Sehr“ ist beinahe ein Unwort, weil es eine Verstärkung ausdrückt, die aber nicht spezifiziert wird und so völlig beliebig bleibt. Es gibt weit über hundert Synonyme für „sehr“, die alle besser, weil eindrücklicher sind. Im täglichen Sprachgebrauch ist dieses überaus gängige Wort kaum zu vermeiden. Auch in den eigenen Texten findet es sich oft genug. Irgendwann während des Schreibprozesses habe ich mich hingesetzt und alle „sehr“ radikal ausgemerzt. Das führte bei mir zu einer Sensibilisierung, die die Nutzung erheblich reduzierte. Trotzdem macht es Sinn, am Ende erneut die Wortsuche der Textverarbeitung darauf anzusetzen. Die leistet für das Aufspüren von sprachlichen Schwächen sowieso unersetzliche Dienste.

Zum Thema „Show, don’t tell“. Zweifellos gewinnt eine Szene im Roman deutlich, wenn sie nicht aus der Perspektive des Erzählers beschrieben, sondern in Handlung und Dialog überführt wird. Nach meiner Erfahrung sollte man dabei aber die Wichtigkeit der Aussage im Hinterkopf haben. Je entscheidender ein Vorgang, ein Zustand oder eine Eigenschaft ist, desto mehr gewinnen diese durch „Zeigen“, statt durch schlichtes Erzählen. Wenn es aber um eine Feststellung geht, die bspw. nur der zeitlichen oder örtlichen Einordnung der Szene dient, kann das auch dazu führen, sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren.

Nehmen wir an, um fünf Uhr nachmittags passiert etwas Unbedeutendes. Dann schreibt man „Es war fünf Uhr nachmittags“ und nicht „jemand fragte nach der Uhrzeit. Steve streifte den Ärmel hoch und zeigte seine Uhr. Der kleine Zeiger deutete auf die Fünf“. Wenn aber die Spannung steigt, weil um Viertel nach fünf eine Bombe hochgeht, dann wäre die Show-Version die richtige.

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