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Lektorat beim Buch schreiben

Ein professionelles Lektorat kann man zumindest teilweise durch Testleser ersetzen – wenn man die richtigen hat. Das Feedback meiner Testleser im freien Textfeld des Antwortbogens erwies sich durch die Bank weg als ausgesprochen interessant. Den einen war der Anfang verglichen mit dem Rest zu statisch, andere fanden den Schluss zu schnell („da wolltest du wohl fertig werden“). Eine Testleserin diagnostizierte zeitweilige Müdigkeit bei manchen Szenen. Alle haben irgendwo recht.

Auch als Novize beim Schreiben merkt man, dass aller Anfang schwer ist, und es erst nach einiger Zeit und vielen Zeilen flüssig läuft. Es gibt Szenen, da geht alles wie von selbst, andere sind eher zäh. Die Routine des gleichmäßigen Schreibens kommt wahrscheinlich nicht vor dem dritten Buch. Im Moment – fürchte ich – sind das noch ferne Welten.

Ich vermute, zwei Dinge spielen eine Rolle: Die ursprüngliche Geschichte – ein Exposé für einen Fernsehfilm – war dreißig Jahre alt (daher das Jahr 1988). Da vermischen sich jüngere mit älteren Elementen. Es gibt eine Reihe von Szenen, die dokumentarischen Charakter haben. Die Szene im Club ist so eine. Nun waren wir während unserer USA Dreharbeiten nicht ständig in Table Dance Clubs, aber die Vorlage für diese Szene war ein entsprechendes Etablissement direkt neben unserem Motel in Indianapolis. Das hatte schon was sehr Eigenes, und diesen Abend habe ich heute noch gut vor Augen. Offensichtlich macht sich das in der Schreibe bemerkbar.

Eine Testleserin, selbst Autorin von Sachbüchern und erfahren im Lektorat, holte in einem Telefongespräch weit aus. Sie hielt sich erst gar nicht mit Rechtschreibfehlern oder diskussionswürdigen Stilfragen auf, sondern sprach gezielt dramaturgische Schwächen an, die ihr aufgefallen waren.

In der Essenz ging es um Fragen, wie sich der Protagonist im Lauf des Buchs bzw. der Handlung verändert. Hat er sich „entwickelt“ (muss er!), und wenn ja, wohin (offen). Sie hatte da einen wunden Punkt getroffen, der von keinem der anderen Testleser angesprochen worden war, der aber in der Schreibliteratur ein Klassiker ist.

Problem ist die Kollision mit meiner eigenen Lebenserfahrung. Demnach kommt Steve genau so nach Chicago zurück, wie er da 14 Tage früher weggefahren ist. Menschen im Alter von 30 Jahren ändern sich nicht mehr grundlegend und schon gar nicht innerhalb von zwei Wochen. Angeblich will das aber der Leser. Gibt man es ihm?

Ich schwankte lang, auch weil mir nicht gefiel, in einem Roman, der in erster Linie gute Unterhaltung bieten will, zu sehr ins Psychologische abzudriften. Was ich mir gut vorstellen konnte, war eine Phase der Reflexion zu einem Zeitpunkt, da die größten Herausforderungen hinter Steve lagen. So etwas, wie Revue passieren lassen, um Gedanken zu sortieren, Geschehnisse einordnen zu können und die eigene Beziehung zu Personen neu zu definieren. Eine solche Szene erschien mir plausibel, und daraufhin schrieb ich ein komplettes zusätzliches Kapitel, in dem Steve eine historische Plantage außerhalb von Charleston besucht, die Magnolia Plantation.

Von einem meiner Filmleute bekam ich folgenden Kommentar:

„Obwohl mir das Cover gefällt, macht mich der Titel nicht neugierig. Ich habe aber keine bessere Idee. Aber irgendwas mit dem Auto fände ich eigentlich gut, Chevy 64 oder so. Oder die Geographie spezifizieren, z.B. mit den Appalachen, à la „Abenteuer in den Appalachen“, „Entscheidung in Charleston“. Das sind nicht wirklich ernst gemeinte Vorschläge. Titel sind sauschwer und man muss die blödesten Ideen durchkauen, um einen guten zu finden. Keine Ahnung, ob du da noch flexibel bist. Als Filmemacher erlebt man das ja ständig – und zu meiner Überraschung kommen doch immer wieder bessere Titel heraus, als man selbst hatte.“

Zur Erinnerung: Die Leseexemplare trugen den Titel „Ruhe im Süden“ mit dem Untertitel „Ein amerikanisches Abenteuer“. In den Monaten des Schreibens hatte ich mich so daran gewöhnt, dass ich ihn überhaupt nicht mehr in Frage gestellt habe. Auch die Mehrzahl der Testleser hatten ihren Gefallen daran kundgetan, und damit war ich endgültig eingelullt.

Dann kam jemand und fragte: warum „Ruhe im Süden“? In der Geschichte geht es im Süden, also in Charleston, doch gar nicht so ruhig zu … Da kapierte ich, dass ich es mit dieser Analogie zu weit getrieben hatte. Ein neuer Titel musste her!

Es war ein längerer Prozess, während dessen ungezählte Vorschläge geboren, durchgekaut und wieder verworfen wurden. Mir gefiel die Idee, den Chevy als dinglichen Protagonisten mit einzubeziehen und den Roadtrip-Charakter des Buchs zur Geltung zu bringen. Als die Entscheidung stand, war es dann Chicago-Chevy-Charleston. Das Auto ist dabei, die Ortsveränderung und der USA-Bezug. Der Titel hat einen hohen Aufmerksamkeits- und Wiedererkennungswert, und – last not least – machen sich die drei „CH“ auf dem Titelbild grafisch gut.

Allerdings war das nach wie vor ein Arbeitstitel. Die Entscheidung, ob ein Verlag oder ich selbst das Buch veröffentlichen würde, war noch nicht gefallen und mitnichten meine Entscheidung allein. Wenn ein Verlag einsteigen würde, wäre die Diskussion über den Buchtitel neu eröffnet.

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Das Schreiben: Ein kreativer Prozess

Sieht man sich Literatur über den Prozess des Schreibens an, wird schnell klar, dass es dafür kein Patentrezept gibt. Die einen schreiben morgens zwischen fünf und sieben Uhr, andere erst nach dem dritten Whisky. Geschrieben wird im Bett, im Zug, nahezu an allen möglichen Orten zu beliebigen Uhrzeiten. Der Akt des Schreibens ist so vielfältig wie die Menschen selbst und die Texte, die dabei entstehen.

Ich selbst schreibe gerne abends, wenn es draußen dunkel ist und Ruhe herrscht. Das hilft mir, meine Vorstellungen zu visualisieren und eine Szene auszugestalten. Das schließt nicht aus, zu früher Stunde im Bett gute Ideen zu entwickeln. Im Folgenden ein paar Punkte, die für meine Schreibroutine gut funktionieren und die ich daher empfehlen kann.

Das erste Buch zu schreiben, ist ein Prozess, der mich an die Geschichte mit dem Frosch erinnert. Nachdem dieser in einen Bottich Sahne gefallen war, rettete er sich, indem er so lange schwamm, bis er schließlich auf einem Berg Butter saß. Der Debütautor befindet sich in einer ähnlichen Situation: Er springt in ein Becken voller Ungewissheiten, und die Chance auf festen Boden unter den Füßen steigt nur, indem er zusammenhängende Sätze schreibt. Es gibt zwar die Notleiter in Form des Ausstiegs oder der Aufgabe, aber mit der ist meist auch die Aufgabe aller schriftstellerischen Ambitionen verbunden.

Wie schreibe ich? Wo kommen die Sätze her? Es gibt dieses klischeebehaftete Bild des Schriftstellers, der Stunden vor einem leeren Blatt sitzt und kein Wort aufs Papier bringt. „Schreibblockade“, tönt es aus dem Hintergrund. Nein, das ist es eher nicht. Ich vermute, eine echte Schreibblockade erfordert lange Jahre des Schreibens, bis der Kopf sich wehrt, weil eigentlich alles gesagt ist. Bei einem Debütroman dagegen produziert man meist mehr Ideen, als dem Manuskript guttut.

Das anfängliche Zögern hat nach meiner Erfahrung eher damit zu tun, die eigenen Einfälle gleich mit gelungener Formulierung und in der richtigen Reihenfolge niederschreiben zu wollen. Irgendwann hat man gelernt, dass die erste Fassung eines Texts nicht umsonst Rohfassung heißt, auf die noch Überarbeitungen folgen. Daher ist es besser, einfach loszuschreiben und den stetigen Fluss von Gedanken durch die Hand aufs Papier zu bringen.

Es gibt ein paar Techniken, die helfen. Eine meiner wichtigsten: Lebe mit der Szene, die du schreibst! Oder besser: Erlebe sie. Konkret heißt das: Wenn du den Eindruck hast, dass das, was du erzählen oder darstellen willst, nicht anschaulich genug rüberkommt, lehne dich zurück, pack den Füller weg, koch dir einen Tee, mach ein Bier auf oder schenk dir ein Glas Wein ein. Dann lass die Szene bildhaft in deiner Vorstellung ablaufen. Das gibt dir nicht nur neue Facetten der Beschreibung, sondern oft auch ein paar zusätzliche Ideen, die Handlung weiter oder im Detail zu entwickeln. Wichtig ist dabei, es nicht zu zwingen. Manchmal muss man solch eine Szene, wenn sie entscheidend ist, über mehrere Tage mit sich herumtragen und versuchen, die eigene Fantasie wieder und wieder da hinein zu schicken.

Was ich im Lauf meines ersten Romans auch erlebt habe, war das Gegenteil des Beschriebenen. Situationen fern ab vom Schreibtisch, in denen ich spontan anfing zu formulieren: beim Frühstück, beim Sport, unter der Dusche oder sonst wo. Auf einmal häufen sich in vollendete Sätze gefasste Gedanken, die nach Festhalten schreien, und den Gefallen tut man ihnen. Das erfordert allerdings immer und überall ein Blatt Papier plus Stift in Reichweite. Formulierungen sind flüchtig wie Träume. Wer sie nicht sofort festhält, verliert sie genau so schnell, wie sie aus dem Nichts auftauchen.

Wenn man Glück hat, kann das richtig produktiv werden. Es fängt an mit einer Notiz oder einer kurzen Formulierung, die es wert scheint, aufgeschrieben zu werden. Daraus wird spontan ein Absatz, ein Abschnitt oder vielleicht eine ganze Seite – aus dem Nichts, dem Herz und der Fantasie entsprungen. Oder doch nur dem Stift? Das sind die Gelegenheiten, die wichtig sind wahrzunehmen. Das Ursprüngliche, das Ungefilterte. Panta rhei – Alles fließt. Wohl dem, der ungehemmt fließen lassen kann. Was der Erguss wirklich taugt, wird die kritische Betrachtung am Tag danach zeigen.

Überhaupt: der Tag danach … Ein wertvolles Instrument der Kontrolle. Ich erinnere mich nur ungern an meine Zeit bei der Bundeswehr. Im Gedächtnis ist mir aber die Regelung geblieben, Beschwerden erst einen Tag nach dem eigentlichen Vorfall schreiben zu dürfen. Das hat einen Sinn. Es legt sich nicht nur die Aufregung, sondern der Blick wird nach einer Nacht wieder klarer, und manche Dinge sehen dann doch anders aus.

Ich habe für mich daraus die Tausend-Wörter-Regel abgeleitet. Maximal tausend Wörter am Tag sind genug. Manchmal kommt man in eine Art „Flow“, und die Wörter rinnen wie nichts aus der Feder. Leider lässt häufig die Konzentration nach. Am nächsten Tag stellt sich bei kritischem Lesen heraus, dass das letzte Drittel des geschriebenen Texts nicht den eigenen Ansprüchen genügt. Die Korrektur ist oft mühsamer und unbefriedigender, als wenn man gleich früh genug aufgehört und am nächsten Tag mit frischem Kopf weitergemacht hätte. Im Einzelfall mag das anders aussehen, aber grundsätzlich sollte man in der täglichen Arbeit die eigenen Grenzen kennen.

Zu viel zeitliche Distanz ist auch schädlich. Ich spreche von den 30 Jahren, die das Exposé in einer Dachbodenkiste reifte, bevor ich es zur Grundlage meines Romans machte. Da war einiges vom Handlungsablauf und von den Dialogen gut geschrieben, aber irgendwie passte es nicht. Letztlich erwies sich als besser, diese Textabschnitte gründlich zu lesen, die Sache eine Nacht ruhen zu lassen und dann die Szenen neu zu schreiben. Sie fügen sich in die Geschlossenheit des Manuskripts deutlich homogener ein als eine halbherzig erweiterte oder umgeschriebene Version des alten Bestandstexts.

Was das Schreiben im Allgemeinen angeht, stehen noch zwei bemerkenswerte Punkte in meinem Autoren-Tagebuch. Einer betrifft den Einstieg, der andere die Endphase.

Als ich anfing zu schreiben, also tatsächlich einen Stift in der Hand und ein Blatt Papier vor mir hatte, war mir ein Rätsel, wie man ein Buch mit mehreren hundert Seiten schafft. Aber je mehr und kontinuierlicher ich geschrieben habe, desto länger wurden die Absätze und Szenen. Beschreibungen und Stimmungen gewinnen an Details, Gefühle an Ausdruck. Bei den Dialogen ist Vorsicht geboten, die werden gerne geschwätzig.

Erklären lässt sich dieses Phänomen dadurch, dass sich nach und nach ein innerer Rhythmus einstellt und ein Gefühl dafür, wie lange der Leser physisch in einer Szene gehalten werden muss, damit diese glaubhaft wird und im Ablauf der Erzählung die richtige Relevanz bekommt. Ein Autor mit etwas Erfahrung kann fast jede Szene ausführlicher darstellen, als es nur für das Verständnis notwendig ist.

Eine andere Merkwürdigkeit ist das Nicht-fertig-werden-wollen. Die Rohfassung des Manuskripts ging dem Ende zu, und die letzten drei Szenen waren klar, teilweise schon grob ausformuliert. Trotzdem vertrödelte ich jede Menge Zeit mit Korrekturen und Verbesserungen am bisher geschriebenen Text. Was mir dazu einfällt? Möglicherweise wollte ich gar nicht fertig werden, weil ich mich an das regelmäßige Schreiben gewöhnt hatte. Ich wusste, dass danach Aufgaben anlagen, auf die ich deutlich weniger Lust hatte, weil sie Entscheidungen erforderten, mit denen ich mich nicht auskannte. Ich lebte offensichtlich ganz gerne in meiner Schreibblase.

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