Die Frage der Leserzielgruppe
Wer sind meine Leser? Wo finde ich meine Leserzielgruppe? Sobald man sich mit Buchmarketing beschäftigt, also versucht, sinnvolle Maßnahmen zu identifizieren, mit denen sich der Buchverkauf in Gang setzen oder verbessern lässt, trifft man in schöner Regelmäßigkeit auf dieses Thema. Vereinfacht heißt die Frage: In welcher Größe soll ich einen Pullover stricken, wenn ich nicht weiß, ob ihn ein übergewichtiger Endfünfziger tragen wird oder eine zierliche 16-Jährige. Es wird noch schwieriger, wenn es, wie bei einem Buch, um intellektuelle Passgenauigkeit geht.
Im Netz tummeln sich wie gewohnt große Mengen selbsternannter Experten, die zu dem Thema etwas zu sagen haben. Mit ein bisschen Kritikfähigkeit und Filterarbeit lassen sich hier nützliche Hinweise finden. Zwei Problemfelder tauchen dabei auf. Fast alle gehen davon aus, dass – wie beim Pullover stricken – der Autor sich vor dem Schreiben Gedanken über seine Leserzielgruppe macht und Stoff und Schreibstil daran ausrichtet. Außerdem beziehen sich diese Hinweise bevorzugt auf Sachbücher.
Wenn ich herausfinde, dass es eine relevante Gruppe von linkshändigen Golfspielern gibt, die wegen ihrer Pollenallergie grundsätzlich bei Regen spielen, habe ich eine kleine, aber feine Zielgruppe, die ich mit einem Ratgeber hervorragend bedienen kann. Das Buch wird ziemlich sicher seine Käufer finden.
Aber wie schaut die Situation aus, wenn man – wie ich – Stoff für einen Roman hat, dessen Thema und dessen Protagonisten eine Herzensangelegenheit sind? Selbst bei einem Krimi oder Thriller ist das einfacher, weil sich Übeltäter, Verbrechen und Setting relativ gut an die Erwartungen des Publikums anpassen lassen. Ein Roman, der unter völliger Missachtung einer „Zielgruppenspezifizierung“ geschrieben wurde, hat da ein Problem.
Nun kann man darauf hoffen, dass eine interessante, gut geschriebene Geschichte immer ihre Leser finden wird. Vielleicht lässt sich auch der eine oder andere Rezensent mit Reichweite auftun, der sein Lob in die Runde schickt. Aber was ist denn jetzt mit der Zielgruppe?
Zäumen wir das Pferd von hinten auf. Wenn sich ein Buch für eine Zielgruppe schreiben lässt, müsste sich auch eine Zielgruppe für ein Buch finden lassen. Also formulieren wir die üblichen Fragen, mit denen sich ein Leserprofil erstellen lässt, unter diesem Gesichtspunkt des vorhandenen Romans. Die Fragen heißen dann nicht mehr „Für welche Altersgruppe will ich schreiben?“ oder „Welches intellektuelle Umfeld möchte ich ansprechen?“, sondern „Welche Altersgruppe fühlt sich am ehesten von meinem Roman angesprochen?“ und „Wie definiere ich eine Gruppe, die solche Literatur liest?“.
Es gibt eine Reihe weiterer Fragen, die in Bezug auf die Leserschaft gestellt werden sollten. Im Groben unterteilt man vier Gesichtspunkte, nämlich sozioökonomische, demografische und psychografische Aspekte sowie das voraussichtliche Kaufverhalten. Aber was macht man mit diesen neu gewonnenen Erkenntnissen?
Beim Sachbuch ist das einfach. Die Leser werden das Buch finden. Wenn jemand nach „Golf für Linkshänder“ oder „Golf für Allergiker“ sucht, hat man ihn schon beim Wickel, so weit das Buch mit den richtigen Beschreibungen versehen wurde. Beim Roman ist das andersherum. Das Buch muss die Leserschaft finden, die man so mühsam selektiert hat.
Wie geht das? Letztlich über die Kommunikationswege, die zur Verfügung stehen: Klappentext, Buchbeschreibung auf den Verkaufsplattformen und die Verschlagwortung, zum Beispiel bei Amazon. Beim Klappentext oder in der Buchbeschreibung sollte dieser Kreis von geeigneten Käufern direkt angesprochen werden, und das in einer Sprache, die dieser Zielgruppe angemessen ist. Wenn die Leser in der Altersgruppe 40+ sind, dann ist ein zu salopper Ton unangebracht. Also eher „das funktioniert da nicht“ als „das funzt bei denen nicht“.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Umfeld, in dem das Buch seine Leser finden soll. Die „passende“ Gesellschaft sind verständlicherweise Bücher eines ähnlichen Genres. Jede Buchhandlung und jede Verkaufsplattform hat ein mehr oder weniger fein abgestimmtes Kategoriensystem, das weit über die Einteilung „Sachbuch oder Fiktion“ hinausgeht. Ein Roman für die Altersgruppe 40+ passt manchmal, aber eher im Ausnahmefall in die Coming of Age Abteilung.
Interessant sind dabei die Werbemöglichkeiten für Bücher mit Amazon Advertising. Hier lässt sich definieren, in welcher Verbindung mit anderen Büchern das eigene beworben wird. Im Fall von Chicago-Chevy-Charleston bieten sich bspw. Bücher an, deren Handlung in den USA angesiedelt ist oder die von Reisen und Roadtrips erzählen. Weiter gefasst: Das eigene Werk sollte im Umfeld der Literatur präsentiert werden, die nach der eigenen Zielgruppenanalyse von „meinen“ potenziellen Lesern bevorzugt wird.
In diesem Zusammenhang ein paar Worte zum Thema Frauenbuch versus Männerbuch. Bei der Auswahl meiner Testleser hatte ich mich bemüht, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern zu finden. Dabei ging es mir darum, eine soziografische Mischung zu bekommen, wie ich auch versucht habe, möglichst verschiedene Altersgruppen mit einzubeziehen.
Eine der ersten Reaktionen irritiert mich: Dies sei eindeutig ein Männerbuch, hieß es. Diese Auffassung blieb erfreulicherweise die Ausnahme, sie schärfte aber meinen Blick auf die Frage. Ich baute das in den Feedbackbogen für die Testleser ein, wo sich nach der Auswertung aller Antworten eine leichte Tendenz zum „Männerbuch“ ergab. Sechs Testleser, darunter vier Frauen, antworteten mit „weder-noch“, die anderen vier mit „eher ein Männerbuch“.
Warum erzähle ich das? Weil ich Glück gehabt habe. Die Mehrzahl aller Bücherleser sind Leserinnen, also Frauen. Mit einem reinen Männerbuch reduziert man die potenzielle Leserzielgruppe schon um mehr als die Hälfte, ohne dass weitere Lesermerkmale zum Tragen gekommen sind.
Wenn ein Autor gezielt für Frauen oder gezielt für Männer schreibt, ist das etwas anderes. Aber wer vom Grundsatz her alle erreichen will, sollte darauf achten, seine Protagonisten so zu wählen und mit solchen Merkmalen auszustatten, dass sie für beide Geschlechter ein Identifikationspotenzial haben, wenn die Geschichte das zulässt.
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