Schreibratgeber: Hugh Howey’s Writing Insights

Hugh Howey’s Writing Insights lernte ich kennen, als ich vor ein paar Jahren auf unergründlichen Pfaden unterwegs war, um von erfahrenen Autoren gute Ratschläge für das Schreiben von Geschichten zu finden. Das Wort ‚Roman‘ nahm ich damals noch nicht in den Mund. Ich stieß auf den Blog von Hugh Howey. Howey kannte ich, weil ich Bücher von ihm gelesen hatte. Sein zentrales Werk, um es mal so zu nennen, war und ist „Wool“ (deutsche Ausgabe: „Silo“), das sich nachfolgend mit einem Prequel („Level“) und einem Sequel („Exit“) zu einer Trilogie entwickelte. Das Wort „Wool“ hat im übrigen nichts mit Strickwolle oder Wollpullovern zu tun, sondern ist der Begriff für die Lappen, mit denen diejenigen, die das Silo verlassen wollten oder mussten, die Scheiben von Außen reinigen sollten.

Obwohl „Wool“ unglaublich erfolgreich war und noch ist, hat es hat zehn Jahre gebraucht, bis sich jemand für eine adäquate Verfilmung bereit fand. Mittlerweile ist es ein Glücksfall für die Leser von „Wool“ und die Streaming-Abonnenten von Apple TV+, dass die Geschichte von Juliette, Sheriff Becker und all den anderen in einer ersten Staffel auf den Bildschirm kam. Meine Meinung tendiert dahin, die Bücher vorzuziehen, weil sie erzählerisch deutlich mehr auf den Punkt kommen. Dafür hat die Serie den Vorteil, visuell wirklich gelungen umgesetzt zu sein, auch wenn sich die Story irgendwann zieht wie ein mundwarmes Kaugummi.

Die Erstausgaben von „Wool“ hat Hugh Howey als Selfpublisher veröffentlicht. Aus den Erfahrungen, die sich vom Schreiben des ersten Satzes bis zur Veröffentlichung angesammelt haben, hat er innerhalb seines Blogs eine eigene vierteilige Serie gemacht mit dem Titel „Writing Insights“. Die erschien 2017 und ist erfreulicherweise auch heute noch dort zu finden. Die Texte sind logischerweise auf Englisch, können aber, da frei zugänglich, problemlos per copy & paste in ein Übersetzungsprogramm geladen und anschließend auf Deutsch gelesen werden.

Die vier Teile von Hugh Howey’s Writing Insights sind überschrieben mit:

  • Ein Schriftsteller werden (Becoming a Writer)
  • Der grobe Entwurf (The Rough Draft)
  • Der Überarbeitungsprozess (The Revision Process)
  • Dein Buch veröffentlichen (Publishing Your Book)

Der erste Teil hat einen ausgeprägt motivierenden Charakter und versucht, ein paar Wegweiser zu setzen, wie sich ein Schreib-Novize in der manchmal etwas seltsam anmutenden Welt von Literatur und Verlagen zurechtfindet. In Teil 4 bricht Howey die Lanze für das Selfpublishing. Das ist interessant zu lesen, aber nicht der Weisheit letzter Schluss, zumal sich der deutschsprachige Markt vom englischsprachigen bzw. amerikanischen erheblich unterscheidet.

Für angehende Schriftsteller am interessantesten sind eindeutig die Teile 2 und 3, wo es um die Praxis geht. Schon die Unterteilung in zwei eigene Blogbeiträge unterstreicht, welche Bedeutung Howey der Überarbeitung zumisst. Die ist für ihn fast wichtiger als die Rohfassung des Manuskripts. Das erinnert an den Rat Jessica Brodys Save the Cat! – Writes a Novel, erst mal einen Haufen Mist zu schreiben, weil Mist Dünger für Besseres sei und damit eine gute Grundlage für anschließende Überarbeitungen und Korrekturen. Aber vielleicht hat die es ja auch bei Hugh Howey gelesen.

Eine Einschränkung ist insofern zu machen, als sich in Howeys Einteilung ein großer Teil des Schreibprozesses in die Überarbeitung verlagert wird. Das beginnt mit der Ansage „Der Rohentwurf muss nicht gut sein“ und setzt sich fort mit der Feststellung, dass der größte Teil des Schreibens abseits der Tastatur stattfindet und es völlig okay ist, ganze Szenen und Kapitel auszulassen. Das führt konsequent dazu, dass der von ihm beschriebene grobe Entwurf fast auf eine Skizze oder Outline reduziert wird, die sich erst in der Überarbeitung mit Sätzen und Leben füllt. Das ist ein interessanter Gedanke insofern, als damit vermieden wird, sich beim Schreiben in Verästelungen und Geschichten zu verlieren, die die Linie der Geschichte aus den Augen verlieren. Zudem wird die ewige Diskussion um Plotten und Pantsen nahezu überflüssig, weil sich das Pantsen auf Strukturebene dem Plotten stark annähert.

Unabhängig, ob im Rahmen eines Entwurfs oder bei der Überarbeitung, hat das Schreiben abseits der Tastatur unbedingt etwas für sich. Nach meiner Erfahrung kommen, so weit die Idee einer Szene schon steht, die besten Ideen hinsichtlich Ausstattung und Dialogen tatsächlich in denen Momenten, wo die Gedanken frei schweifen können: in der Sauna, öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Wandern oder Schwimmen. Jede Minute ohne äußere Einflüsse kann nutzen, um sich sich den Fortgang der eigenen Geschichte vorzustellen. Die einzigen Orte, wo es entschuldbar ist, keinen Stift und Papier dabei zu haben, sind die Sauna und das Schwimmbecken. Spätestens im Bademantel muss beides verfügbar sein.

Weil der Überarbeitung nicht nur viel Raum gegeben, sondern auch Verantwortung aufgebürdet wird, empfiehlt Howey ein Dutzend oder mehr Durchgänge. Damit ist klar, wann und wo bei ihm das Buch mit Sätzen gefüllt wird. Zitat: „Jeder Durchgang glättet nach und nach raue Stellen und Fehler. Es ist, als ob du ein grob behauenes Stück Holz in ein poliertes Möbelstück verwandelst. Du fängst mit grobem Schleifpapier an und arbeitest dich bis zum Nassschleifen eines Tippfehlers hier oder da vor.“

Howey geht sogar so weit, die Entscheidung über Erzählperspektive und -zeit in die Überarbeitung zu verlagern. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein, ob das sinnvoll ist, weil das nicht nur eine technische Frage ist, sondern die grundlegende Perspektive eines Romans betrifft.

Hugh Howey: Blog Logo

Hugh Howeys Blog

Hugh Howey’s Writing Insights sind weniger Schreibratgeber als Erkenntnisse und Einsichten aus seiner eigenen langjährigen Entwicklung als Romanautor. Es ist weniger ein „Soll“, als ein „Ich hab alles mögliche ausprobiert, und das war das Beste“. Und er redet weniger über das Schreiben als über Strukturen, mit denen der Schreibprozess optimiert werden kann.

Nicht zuletzt ist Howey ein großer Motivator. Viele Reflexionen aus seinem eigenen Autorenleben zeigen anschaulich, dass es vor allem auf das Durchhalten ankommt, dadurch aber auch jedes Manuskript ein bisschen besser wird. Dazu gehört, die Erfahrungen aus dem Vorherigen zu beherzigen. So gesehen sind Hugh Howey’s Writing Insights total aus der Praxis und in einem persönlichen Stil geschrieben, der seine Einsichten überzeugend transportiert.

Writing Insights; von Hugh Howey; auf seinem eigenen Blog: hughhowey.com/blog/

Photo by PAN XIAOZHEN on Unsplash

Die meisten Autoren längerer Geschichten haben wahrscheinlich diverse Schreibratgeber im Regal stehen. Warum auch nicht? Es ist deutlich effizienter, sich spezielle Kenntnisse von professionellen Autoren anzueignen, als entsprechende Erfahrungen selbst machen zu müssen. Wie alles sind aber auch Schreibratgeber unterschiedlicher Qualität und sie beleuchten verschiedene Aspekte des selben Themas. In dieser Reihe möchte ich ein paar Worte über die Schreibliteratur verlieren, die ich gelesen habe und die möglicherweise auch für andere interessant sein könnte. Die Zielgruppen dieser Ratgeber unterscheiden sich teilweise aber erheblich.

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Schreibratgeber: How to Write Best Selling Fiction

How to Write Best Selling Fiction von Dean Ray Koontz ist der zweite Schreibratgeber in dieser kleinen Reihe. Dean Ray Koontz ist ein amerikanischer Autor, der für seine Thriller bekannt ist, die Elemente aus Horror, Mystery und Science Fiction miteinander verbinden. Er hat im deutschsprachigen Raum eine feste Lesergemeinde, die aber nicht vergleichbar ist mit amerikanischen Autoren wie Stephen King, John Grisham und ähnlichen. Mit diesen liegt Koontz aber im englischsprachigen Raum nicht nur gleichauf, sondern übertrifft sie teilweise. Sein endgültiger Durchbruch war der 1980 erschienene Roman Whispers (deutsche Ausgabe „Flüstern in der Nacht“), der den Stil seiner zukünftigen Werke prägte. Koontz hat mittlerweile weit über 100 Romane, Novellen und Sammlungen von Kurzgeschichten veröffentlicht. Viele seiner Bücher standen an der Spitze der New York Times Bestsellerliste und wurden in 38 Sprachen übersetzt, was seine internationale Anziehungskraft unterstreicht. Mehrere seiner Werke wurden auch für Film und Fernsehen adaptiert. Warum er in Deutschland nicht bekannter ist, müsste man den Verlag fragen. An seinen Plots oder seinem Stil liegt es definitiv nicht.

1981 veröffentlichte Koontz das Sachbuch How to Write Best Selling Fiction, das leider nur auf Englisch und mittlerweile nur noch antiquarisch zu bekommen ist. Dabei werden meistens absurde Preise von bis zu mehreren Hundert US-Dollar aufgerufen. Man kann es aber ohne Probleme über WorldCat bei vielen Bibliotheken online ausleihen.

Dieser Schreibratgeber, der mit Sicherheit auf einer Schreibmaschine verfasst wurde, hat also ein paar Jahre auf dem Buckel, was aber seiner Klasse und Aktualität keinen Abbruch tut. Koontz schreibt heute mit seinen beinahe 80 Jahren immer noch Bücher und die sind ebenso erfolgreich wie seine früheren.

Von den diversen Büchern über das Schreiben von Büchern ist dieses das umfassendste. Auch daran macht sich fest, dass der Autor selbst Schriftsteller ist und einen unglaublichen Schatz an Erfahrungen hat. Knapp zehn Jahre vor Erscheinen von How to Write Best Selling Fiction hatte Koontz schon einmal einen Schreibratgeber („Writing Popular Fiction“) veröffentlicht, der ihm eine positive Resonanz und unzählige weitere Fragen von Schriftsteller-Aspiranten einbrachte, die er jetzt mit einbezieht. Außerdem hatte er das Gefühl, sich selbst als Autor so viel weiter entwickelt zu haben, dass er auch dieses zusätzliche Know-how mitteilen wollte. How to Write Best Selling Fiction ist also ein Schreibratgeber, der wirklich auf Erfahrung, Kenntnis und Praxis aufbaut, und damit perfekt geeignet ist, sich Rat und Hilfe bei nahezu allen Problemen des Schreibens zu holen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ratgebern beleuchtet Koontz wirklich ALLE Aspekte der Arbeit am Manuskript. Er beginnt mit dem Erstellen und Strukturieren einer Handlung, wobei er echt originelle Vorschläge hat. Er spielt mit kontrastierenden Wörtern, über spannende Buchtitel, die zu einer Geschichte führen können, bis zu einfach hingeschriebenen ersten Sätzen oder Absätzen, die die Phantasie des Autors so in Gang bringen, dass es zu einem Kreativitätsfluss kommt. Er schreibt über „Action“, die Bewegung innerhalb einer Geschichte, die den Leser am Ball hält, und über die Helden, Hauptfiguren und Charaktere, die im schlechtesten Fall eine Geschichte ruinieren, im besten Fall in den literarischen Himmel heben können. Seine Empfehlungen gehen dabei so weit, die Details einer Figurenbeschreibung bis dahin auszudehnen, dass der Autor die Figur ebenso gut zu kennen meint wie einen eigenen Freund.

Interessant auch sein Kapitel über Plausibilitäten und Motivation, in dem er einen fiktiven warnenden Finger hebt, es nicht zu übertreiben mit all dem, was der Autor in einer Geschichte auffährt, weil sonst irgendwann die Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt. Weiter geht es mit dem „Hintergrund“ einer Geschichte. Dem Ort, an dem sie stattfindet, Ethnie und sozialer Background der Hauptfiguren, aber auch technische Details. Koontz verdeutlicht das an der Frage, ob ein Schalldämpfer an einem Revolver angebracht werden kann (nein, geht nicht) oder an Pflege und Fütterung eines Schnabeltiers, wo es ebenfalls Sinn macht, sich als Autor kundig zu machen, bevor der wissende Leser das Buch kopfschüttelnd in die Ecke legt.

Schließlich gibt es noch Ratschläge in Sachen Grammatik und Stil. Wer keine Grammatik beherrscht, sollte besser Atomphysiker oder Neurochirurg werden, so sein Credo, und Stil kann man nicht lernen, sondern nur entwickeln. Im Zusammenhang mit Stil kommt Koontz auf den Dialog, den er als ein wichtiges Stilelement sieht, weil eine tägliche Konversation zwischen zwei Menschen immer anders verläuft als ein Dialog im Buch. Er behauptet, Dialoge wären für den Rhythmus einer Geschichte unerlässlich und es würden nur wenige Romane gekauft, die weniger als 20 oder 30 Prozent Dialog enthalten. Über mehrere Seiten werden hier Beispiele für unterschiedliche Dialoge in verschiedenen Situationen gebracht, die sein Anliegen gut verdeutlichen. Überhaupt ist es eine große Qualität von Koontz, alles, was er vermitteln will, an vielen Zitaten aus seinen eigenen Büchern zu verdeutlichen.

Cover

Klar, wie der Titel schon sagt, haben wir es hier mit einem Ratgeber zu tun, der auf das Schreiben von Bestsellern, also Mainstream abzielt. Trotzdem gelten viele der darin gegebenen Hinweise genauso für andere Genres. Spannende, interessante und sympathische Charaktere will der Leser fast immer, um ein gewisses Maß an Identifikationspotenzial zu bekommen, und er ist dankbar für eine plausible Geschichte, die einen realistischen Hintergrund besitzt.

Ein Typ wie Koontz, der laut Wikipedia unglaubliche 500 Millionen Bücher verkauft hat, kann nur über Mainstream reden. Auch er vertritt das Erzählmuster der „Heldenreise“, aber er macht das im Vergleich zu dem ersten Schreibratgeber dieser Reihe „Save the Cat“ (Link) erheblich strukturierter, weniger penetrant und formalistisch und dafür mit anschaulichen Textbeispielen.

Fazit: Wenn jemand auf dem Weg zum Autoren nicht viele, sondern nur einen Ratgeber lesen will, der ein umfassendes Bild mit vielen Beispielen gibt, und das von einem der unbestritten erfahrensten Bestsellerautoren der Welt, dem sei dieser empfohlen.

How to Write Best Selling Fiction von Dean Ray Koontz; ISBN 978-0898790450

Photo by Daria Kraplak on Unsplash

Die meisten Autoren längerer Geschichten haben wahrscheinlich diverse Schreibratgeber im Regal stehen. Warum auch nicht? Es ist deutlich effizienter, sich spezielle Kenntnisse von professionellen Autoren anzueignen, als entsprechende Erfahrungen selbst machen zu müssen. Wie alles sind aber auch Schreibratgeber unterschiedlicher Qualität und sie beleuchten verschiedene Aspekte des selben Themas. In dieser Reihe möchte ich ein paar Worte über die Schreibliteratur verlieren, die ich gelesen habe und die möglicherweise auch für andere interessant sein könnte. Die Zielgruppen dieser Ratgeber unterscheiden sich teilweise aber erheblich.

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Schreibratgeber: Save the Cat! – Writes a Novel

Save the Cat! – Writes a Novel von Jessica Brody ist der erste Beitrag in dieser Reihe von Schreibratgebern. Das Buch erschien im Jahr 2018 auf Englisch und bis heute gibt es keine deutsche Übersetzung. Es ist ein Follow-up des Klassikers Save the Cat Goes to the Movies von Blake Snyder, der darin Hilfestellung beim Drehbuchschreiben gibt.

Das Buch gliedert sich in drei Teile: Der erste ist eine Anleitung, wie sich eine gelungene Geschichte in drei Akte und 15 sogenannte „Beats“ (Wendepunkte bzw. Entwicklungsphasen) unterteilt lässt. Diese werden im Rahmen des „Beat Sheets“ so optimiert, dass daraus ein nach dramaturgischen Konzepten generierter Plot wird. Ein solcher Plot besitzt großes Spannungspotenzial und hält damit den Leser bei der Stange.

Im zweiten Teil definiert Jessica Brody „Ten Genres“. Diese zehn Genres werden im Detail behandelt und anhand von dafür typischen Romanen verdeutlicht. Diese Romane stammen alle verständlicherweise von amerikanischen oder englischen Autoren, sind aber in deutschsprachigen Landen durchaus bekannt. Dabei sind bspw. Stephen King, J. K. Rowling, Ernest Cline und Paula Hawkins.

Der dritte Teil befasst sich mit häufigen Problemen, auf die Autoren während des Schreibprozesses stoßen können.

Durchgängiger Grundgedanke dieses Schreibratgebers Save the Cat! – Writes a Novel ist die absolute Notwendigkeit für den Helden, sich zu ändern. Die Hauptfigur startet am Anfang mit einem inneren Problem. Im Verlauf der Geschichte muss diese Person lernen. Sie muss sich entwickeln und am Ende der Geschichte ein anderer Mensch sein. Diese Idee zieht sich mit einer gewissen Penetranz durch das Buch.

Jessica Brody sagt: „Das Beat Sheet wird oft auch als Verwandlungsmaschine bezeichnet, und Sie können wahrscheinlich verstehen, warum. Ein fehlerhafter Held tritt auf der einen Seite ein und kommt auf der anderen Seite wie verwandelt wieder heraus! Im Grunde ist die Verwandlungsmaschine dazu da, die Helden umzuprogrammieren. Sie soll die Art und Weise ändern, wie sie denken, handeln und agieren.

Dieses Zitat formuliert den Grundgedanken dieses Schreibratgebers und damit auch die Engstirnigkeit seiner Form der Geschichtenerzählung. Der Satz sagt fast alles aus – im Positiven, aber auch im Negativen. Soll sich jeder Leser raussuchen, auf welcher Seite er steht, dann weiß er, ob Save the Cat! – Writes a Novel was für ihn ist oder nicht.

Mit einigen Fragezeichen zu versehen ist einige Zeilen später auch folgender Satz: „Letztendlich ist es das, was alle großen Geschichten tun. Sie programmieren die Helden um.“ Das Wort „alle“ in Kombination mit „große“ ist falsch. Es sind möglicherweise viele, aber nicht alle, und es sind auch mitnichten nur die „großen“ Geschichten.

Irgendwann wird es anstrengend, immer wieder an das innere oder spirituelle Ziel (Bedürfnis) erinnert zu werden, das die Hauptfigur, den „Helden“, zu einem besseren Menschen machen wird. Spontan fällt einem Stieg Larssons Lisbeth Salander ein, die viele Probleme und viele Bedürfnisse hatte, aber definitiv nicht das spirituelle Ziel, ein besserer Mensch zu werden.

Es gibt jede Menge Bücher, die dieser Struktur nicht oder nur in geringem Maß oder nur zu gewissen Teilen entsprechen. Außer, ja außer man definiert kaum sichtbare oder merkbare Details als Wendepunkte oder Ereignisse, in denen die Leitlinie von Save the Cat! – Writes a Novel erkennbar sein könnte. Dadurch wird dieser Grundgedanke wiederum so aufgeweicht und schwammig, dass er fast unglaubwürdig wird.

Dreht man das Ganze herum, heißt das: Es gibt viele Bücher, die in diese Struktur passen. Es gibt aber auch viele , die dieser Struktur nicht folgen und dennoch hervorragende Bücher sind. Die Vermutung liegt nah, dass die Autoren dieser Bücher aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer Kenntnis des Schreibens diesen Schraubstock an Regeln nicht mehr benötigen. Im Umkehrschluss heißt das wiederum, diese Regeln sind denen eine Hilfe, die keine oder erst wenig Ahnung vom Schreiben haben.

Reichlich schlicht sind im übrigen die den jeweiligen Kapiteln nachgeordneten Fragebögen, die an schlechten Deutschunterricht in der Schule erinnern. Fragen wie „Lässt ihr Held eine alte Welt hinter sich und betritt eine neue?“ sind hart an der Grenze zur Zumutung für Leute, deren Plan mehr ist, als eine Fantasy-Kurzgeschichte zu schreiben. Insofern empfiehlt es sich immer wieder, die Lektüre dieses Ratgebers mit einer gewissen inneren Distanz anzugehen.

Die den zweiten Teil füllenden Genres sind zehn Archetypen, in die man nach Meinung von Jessica Brody „jeden großen Roman, der jemals geschrieben wurde“, einordnen kann. Das ist ein wahrhaft ambitionierter Anspruch. Aber vielleicht rettet sich Frau Brody damit, dass alle Romane, die da nicht reingezwängt werden können, eben keine großen Romane sind. Lassen wird es mal so stehen und wenden uns den gelisteten Genres zu. „Man nennt sie die Save the Cat!-Geschichtengenres“. Die unterscheiden sich nicht, wie möglicherweise irrtümlich angenommen, in Krimis, Komödien, Dramen, Horrorgeschichten oder sonstiges, sondern, wie sollte es anders sein, danach, welchen Typ von Verwandlung der Held durchmacht.

Zumindest haben die zehn Genres insofern einen Wert, als sie eine ausgesprochen hilfreiche Stütze sein können für Autoren, die sich noch nicht im Klaren sind, was für eine Geschichte sie schreiben wollen. Diese Frage lässt sich damit nicht nur klären, sondern auch mit einigen guten und vor allem praktikablen Ideen anreichern. Hat man sie verinnerlicht, könnte man vermuten, dass bei Stephen King nicht die zehn Gebote über dem Schreibtisch hängen, sondern die zehn Genres von Jessica Brody.

Die im Anschluss als typisch für das jeweilige Genre genannten Bücher sind eher ein Hinweis, wie Mainstream-Romane oft (aber nicht zwangsläufig immer) funktionieren. Das muss jedenfalls nicht der Maßstab für ein eigenes Buchprojekt mit einer kreativen Geschichte sein.

Nicht in diese Schablone passende Romane hat Jessica Brody, aus ihrer Perspektive verständlich, außen vor gelassen. Man muss nicht bis zu Großmeistern der Literatur wie Haruki Murakami gehen, um den Beweis anzutreten, dass es auch anders geht. Selbst so schlichte Bestseller wie Der Circle passen da nicht hinein. Aber vielleicht ist das der Grund, warum dieses Buch von Dave Eggers – freundlich ausgedrückt – so enttäuscht (Subjektiv, nur meine Meinung, oder vielleicht doch ein bisschen mehr? Darüber schreibe ich demnächst an anderer Stelle).

Die im dritten Teil besprochenen Themen und Problembereiche sind erfreulich praxisnah. Unter anderem geht es hier um die Schreibblockade, von der Jessica Brody sagt, dass es eine solche nicht gibt bzw. diese richtiger „Blockade des Perfektionisten“ genannt werden sollte. Hintergedanke ist, im Zweifel eher erst mal einen Haufen Mist zu schreiben als gar nichts. Mist sei Dünger für Besseres, und damit eine gute Grundlage für anschließende Überarbeitungen und Korrekturen. Dieser dritte Teil hält überhaupt eine Reihe von Arbeitstechniken bereit, die nicht nur vor Beginn des Schreibens, sondern auch während des Schreibprozesses eine praktikable Hilfestellung sein können.

Zusammenfassend geht es in Save the Cat! – Writes a Novel nicht um Stil, nicht um die Charaktere, es geht nicht um die Geschichte selbst oder auch nur um das Thema. Es geht ausschließlich um die Struktur bzw. die Dramaturgie. Damit kann man durchaus eine Geschichte verbessern. Aber wenn der Rest nicht stimmt, hilft das alles nichts. Insofern ist dieser Schreibratgeber einerseits auf schmaler Spur. Andererseits hilft diese Beschränkung auch, weil die Konzentration auf einem einzigen Merkmal liegt, und die Verfasserin nicht meint, alles auf einmal erschlagen zu müssen. Was man auch lernt, ist zu verstehen, wie offensichtlich viele Mainstream-Leser ticken und mit welchen Mitteln sie bei der Stange gehalten werden. Und das ist schon mal was.

Wenn man weiß, wo die Beschränkungen liegen, ist es ein durchaus hilfreiches Buch. Vor allem wenn man sich nicht zu strikt an die Vorgaben hält. Für angehende Romanautoren bietet Save the Cat! – Writes a Novel einen praktischen und leicht verständlichen Ansatz, um spannende Geschichten zu verfassen. Autoren, die lieber organisch und ohne strenge Struktur schreiben, werden die Leitlinien von Jessica Brody sicher als zu präskriptiv oder einschränkend einordnen.

Save the Cat! Writes a Novel: The Last Book On Novel Writing You’ll Ever Need; von Jessica Brody; ISBN 978-0399579745

Photo by Danny Trujillo on Unsplash

Die meisten Autoren längerer Geschichten haben wahrscheinlich diverse Schreibratgeber im Regal stehen. Warum auch nicht? Es ist deutlich effizienter, sich spezielle Kenntnisse von professionellen Autoren anzueignen, als entsprechende Erfahrungen selbst machen zu müssen. Wie alles sind aber auch Schreibratgeber unterschiedlicher Qualität und sie beleuchten verschiedene Aspekte des selben Themas. In dieser Reihe möchte ich ein paar Worte über die Schreibliteratur verlieren, die ich gelesen habe und die möglicherweise auch für andere interessant sein könnte. Die Zielgruppen dieser Ratgeber unterscheiden sich teilweise aber erheblich.

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