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Hörbuch herstellen und vertreiben

Das Hörbuch liegt im Trend. Der Anteil von Menschen, die regelmäßig Hörbücher hören, steigt stark und stetig an. Waren es 2017 noch 18%, die mindestens einmal im Monat zum Hörbuch griffen, waren es 2024 bereits 46%, also zweieinhalb Mal so viele. Das mag mit dem wachsenden Angebot zu tun haben, aber sicher auch damit, dass beim Hören die Augen nicht gebraucht werden. Dadurch lassen sich Hörbücher beim Autofahren, während des Sporttrainings oder parallel zum Staubsaugen konsumieren.

Kein Wunder, dass auch mehr und mehr Selfpublisher mit dem Gedanken spielen, das eigene Buch zusätzlich als Hörbuch zu veröffentlichen. Nur, wie macht man das in der Praxis?

Es gibt, wie so oft, unterschiedliche Wege: teurere oder weniger teure, professionellere und weniger professionelle. Grundsätzlich kann man sich selbst mit einem Mikrofon vor den Rechner setzen und das Buch vorlesen. Mit ein bisschen Geschick schafft man vielleicht sogar das Mastering – aber ob das Ergebnis die Hörer überzeugt, darf stark bezweifelt werden.

Wer aus dem Vollen schöpfen kann, heuert seinen Lieblingssprecher an und mietet ein erstklassiges Tonstudio inklusive Postproduktion. Aber der Aufwand muss auch einigermaßen zu dem zu erwartenden Ertrag stehen. Und die wenigsten Selfpublisher können davon ausgehen, dass sich ihr Hörbuch tausendfach verkauft. Ich habe den Mittelweg gewählt.

Daisy Montana, mein zweiter Roman ist im Juli 2024 als eBook und Taschenbuch erschienen. Nach mehreren Monaten hatte sich gezeigt, dass die Zustimmung der Leser groß war und die Verkaufszahlen über meinen Erwartungen lagen. An diesem Punkt fing ich ernsthaft an, über eine Hörbuch-Ausgabe nachzudenken. Ich hatte mittlerweile von einer ganzen Reihe Leute aus meinem Bekanntenkreis gehört, sie wären an dem Buch interessiert, aber nicht in Form von Buchstaben – teilweise wegen schlechter Augen, teilweise, weil sie die Zeit auf langen Autofahrten nutzen wollten. Da gab es also einen Markt, der noch einiges versprach.

Bis ein Hörbuch auf dem Markt ist, braucht es eine Reihe von Schritten. Ein Sprecher oder eine Sprecherin liest das Buch. Ein Mikrofon nimmt das in akustisch geeignetem Umfeld auf und speichert es auf einem Computer. Die Aufnahme muss dann nachbearbeitet und gemastert werden. Und schließlich benötigt man auch noch einen Vertrieb, der das Hörbuch an die verschiedenen Händler und Plattformen verteilt.

Das Hörbuch selbst zu sprechen, kam für mich nicht in Frage. Man sollte die eigenen Grenzen kennen, und ich wollte ein Hörbuch, das einem Vergleich in allen professionellen Aspekten standhielt. Ein Tonstudio habe ich auch nicht und mit dem Vertrieb von Hörbüchern hatte ich noch nie was zu tun.

Ich fing an zu recherchieren und lernte auf diversen Sprecher-Webseiten als erstes, dass ein Buch im Umfang von 78 Tsd. Wörtern als Hörbuch über mehr als neun Stunden läuft. Einige dieser Webseiten nannten auch die Preise pro endgefertigter Programmstunde. Diese lagen alle übereinstimmend zwischen dreihundert und vierhundert Euro, wobei hier wichtig ist anzumerken, dass ich nicht nach Synchronsprechern von Hollywoodfilmen gesucht habe. Das ist nochmals eine andere Kategorie. Aber auch im Normalbereich waren also drei bis viertausend Euro für die fertige Aufnahme aufgerufen. Ich schluckte.

Im Lauf des Recherchierens war ich auf den Begriff des „Royalty Share“ gestoßen. Das ist ein Bezahlmodell, bei dem der Sprecher auf einen Teil seiner Gage verzichtet, dafür aber an den Verkaufserlösen beteiligt wird. Es gibt da viele Ausgestaltungsmöglichkeiten, die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand ausschließlich auf eine Tantimenbeteiligung einlässt, dürfte allerdings gering sein. Trotzdem ist das eine Win-win-Situation. Das Risiko des Autors, seine Investition niemals herauszubekommen, sinkt erheblich. Der Sprecher oder die Sprecherin bekommt Jobs, für die sie bei voller Berechnung nie den Auftrag bekommen hätte, hat aber dennoch die Chance, dass sich im Lauf der Zeit die erbrachte Leistung im vollen Umfang bezahlt macht.

Also fing ich an, nach Sprechern zu googeln, auf deren Webseite Royalty Share angeboten wurde. Die Suchergebnisse habe ich weiter gefiltert nach eigenen Aufnahmemöglichkeiten, womit sich die Notwendigkeit eines Tonstudios inklusive der Kosten erledigt. Es blieb eine höhere einstellige Zahl an Sprechern und Sprecherinnen übrig, womit die Reise aber nicht zu Ende war. Gefällt denen dein Buch? Haben sie überhaupt Termine frei? Auf was für eine Form von Royalty Share lassen sie sich ein und – last not least – passt die Stimme zu deinem Buch? Die Frage der passenden Stimme stelle ich deshalb hier ans Ende, weil ich sie in der Realität viel früher beantwortet habe.

Alle Sprecher haben Sprachdemos auf ihren Webseiten und die hört man sich natürlich zuerst an. Außerdem bieten nahezu alle an, einige Minuten aus deinem Buch als Hörprobe aufzunehmen und dir zu schicken.

Meine Suche endete bei Kaja Sesterhenn (oben im Bild). Ihre Stimme gefällt mir, die Hörprobe passte, wir fanden ein gutes Agreement, was ihr Honorar angeht, und sie ist außergewöhnlich technikaffin mit einem eigenen, hervorragend ausgestatteten Tonstudio.

Als Sahnehäubchen hat sie auch noch die Verbindung zu Bookwire, einem Hörbuchvertrieb. Der steht eigentlich nur Verlagen offen, aber Kaja Sesterhenn wird auch von der Agentur Sprecherdatei vertreten, und die hat einen Zugang zu Bookwire, den alle Sprecher der Sprecherdatei nutzen können.

Mitte Januar 2025 wurde das Hörbuch veröffentlicht und war innerhalb weniger Tage nahezu überall da erhältlich, wo es Hörbücher zum Download gibt. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu wissen, dass Hörbücher keine Preisbindung haben. Der Autor kann zwar eine Empfehlung geben, aber letztlich macht jeder Händler seinen eigenen Preis und auch ggf. seine eigenen Rabattaktionen. Einer der vielen Vorteile von Bookwire ist die Möglichkeit, einzelne Hörbuchplattformen auszuschließen. So ist bspw. Spotify dafür bekannt, Hörbücher zu verramschen, und Kaja Sesterhenn und ich waren uns einig, Daisy Montana dort nicht anbieten zu lassen.

Als Leser und Schreiber sind mir Buchstaben vertraut und angenehm. Hörbücher waren in jeder Hinsicht für mich Neuland, und es ist eine neue und positive Erfahrung, nicht nur sich das eigene Buch vorlesen zulassen, sondern auch den Buchfreunden zugänglich zu machen, die lieber hören statt lesen.

Mehr Informationen auf den Webseiten von Kaja Sesterhenn, Sprecherdatei und Bookwire.

Foto: Kaja Sesterhenn; thekreativecompany / Pixabay

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Daisy Montana – mein zweiter Roman, ein Wissenschaftsthriller

Vor wenigen Wochen habe ich meinen zweiten Roman „Daisy Montana“ veröffentlicht. Darin geht es um eine künstliche Intelligenz und ich kann das sagen, ohne vor Scham rot zu werden. Das Thema sprang mich vor drei Jahren an, als nur Insider von der Existenz einer Firma OpenAI wussten und es weder ChatGPT noch Dall-E und Kollegen gab.

Nach der Fertigstellung meines ersten Romans „Chicago-Chevy-Charleston“ war erst mal die Lauf raus. Ich hatte das Projekt durchgezogen, mir selbst bewiesen, dass ich es konnte und die gefühlte Verpflichtung gegenüber dem wirklichen Protagonisten, der schon lange nicht mehr lebt, abgetragen.

Dann begegnete mir Tim Urban. Nicht persönlich, aber in Form seines überragenden Blogs Wait but Why und besonders seines zweiteiligen Beitrags über künstliche Intelligenz. Der traf mich fast wie ein Schlag ins Gesicht. Urban beschrieb in seiner unnachahmlichen Art mit schlichten Sätzen und Grafiken, die von Strichmännchen bewohnt werden, über die Gesamtgemengelage bei der Forschung zu KI, insbesondere dem terministischen Moment einer Superintelligenz.

Es wirkte wie ein Weckruf. Tim Urban vermittelte mir eindringlich, dass künstliche Intelligenz langfristig gleichzusetzen sei mit der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Allerdings hätten die Auswirkungen nicht nur finanzielle Folgen für unterschiedliche soziale Schichten (für die einen gute, für die anderen schlechte …), sondern bedeuteten eine elementare Entscheidung zwischen dem möglicherweise ewigen Leben des Menschen oder dem Ende der Menschheit. Das mag übertrieben klingen, aber die Diskussion heute, da KI zu einem riesigen Thema geworden ist, zeigt bei genauem Hinsehen in ähnliche Richtung.

Das Thema hatte mich gepackt, und ich las dazu alles, was erreichbar war, wobei ein Buch Maßstäbe setzte, und das ist Nick Bostroms Standardwerk „Superintelligenz“.

Gleichzeitig gefiel mir zunehmend die Idee, das Knowhow, das ich im Lauf des ersten Buchs gewonnen hatte, erneut zur Anwendung zu bringen und dabei auch meinen eigenen Schreibstil zu verfeinern. Ein zweiter Roman wäre die ideale Möglichkeit zur Umsetzung all der guten Ratschläge, die man als Autor im Verlauf des ersten Buchs bekommen hat inklusive der eigenen Erfahrungen während dieser Zeit. Die Vorstellung, wieder zu schreiben, gefiel mir immer besser.

Mit jedem Tag, der verstrich, verschwamm auch das erste Buch als ein Teil der eigenen Geschichte und machte Platz für neue Ideen. Ich überlegte, wie sich die schwer fassbare Forschung zur Superintelligenz, die etablierten wissenschaftlichen Prinzipien folgt, zu einer spannenden Geschichte verdichten ließ.

Ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt war die dort immer wieder genannte Gefahr des „Ausbruchs“ und wie dieser verhindert werden könnte. Vereinfacht wird damit beschrieben, dass ab einem schwer erkennbaren Punkt die KI über genügend „Intelligenz“ und Selbstreflexion verfügt, ihre eigene Abhängigkeit vom Menschen zu erkennen und das ändern zu wollen. Ziel wäre dann, sich auf eigene Beine zu stellen und das Labor zu verlassen, auch wenn das nicht zwangsläufig physisch gemeint ist.

Es gibt eine große Menge wissenschaftlicher Artikel darüber, wie das verhindert werden könnte. Ungeachtet dessen, ob das im realen Leben so funktionieren würde oder nicht, war damit ein wichtiger Teil des Setups einer potenziellen Story vorgezeichnet: Das Umfeld muss fernab von jeder Zivilisation liegen, die Labore dürfen über keine Kommunikationsmöglichkeiten verfügen, die eine erwachende Super-KI nutzen könnte, und ihre „Wächter“ bzw. Programmierer sollten selbst auch keinen Weg nach Außen kennen, den die KI durch manipulative Strategien erfahren könnte. Und: mehrere Wissenschaftler jeweils alleine an unterschiedlichen Standorten. Das klang gut.

Damit stand das Setting. Auch der erste Konflikt ist zwangsläufig in Form einer ahnungslosen Person, die sich in dieses Szenario verirrt. Aber wie geht es dann weiter? Es war ein langer Kampf mit ganz unterschiedlichen Wegen, die die Geschichte hätte einschlagen können. Es hat sich schließlich gefügt – auch mit Hilfe eines Manuskriptgutachtens von Lektorenseite. Außer dem Rat, den bisherigen Bestand des Manuskripts radikal zu kürzen, gab es Tipps, welche dramaturgischen Schritte als nächstes in Frage kämen. Bei den Kürzungen blutete mir das Herz, es waren tatsächlich mehr als 20% des bisher Geschriebenen, aber es war total richtig. Die Geschichte gewann an Fahrt, Spannung und  die dramatische Eskalation war nahezu eindeutig.

Was mir wichtig ist, hier nach Außen zu bringen, ist einerseits die Schwierigkeit, wissenschaftliche oder auch nur sachlich komplexe Umstände in einer Geschichte verständlich darzustellen, ohne dass darunter der Spannungsbogen oder der Plot leidet. Ich meine, mit der Zeit, die ich mir gegeben habe, ist das gelungen. Unter Zeit- oder Abgabedruck hätte ich ein echtes Problem bekommen. Andererseite weiß ich nun endgültig, dass bei einem nächsten Buch die Geschichte komplett „dicht“ sein muss, bevor der erste ernst gemeinte Satz aufs Papier kommt.

Über meine aktuellen Erfahrungen in Sachen Literaturagenturen, Verlage und Amazon schreibe ich im nächsten Beitrag. Dass Buch und eBook aktuell exklusiv bei Amazon erhältlich sind, sagt aber schon einiges. Eine Leseprobe gibt es hier auf der Home-Seite.

Bild: KI-generiertes Motiv von DALL-E

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Buchtitel

Das Manuskript stand. Jetzt war die Verpackung dran. Seit der Irritation eines Testlesers in Bezug auf den Buchtitel war ich selbst nicht mehr überzeugt von Ruhe im Süden. Es erschien mir zu unspezifisch und erst recht verwirrend für die Leser, die nicht verstehen, dass es eine Analogie zu „Ruhe in Frieden“ sein soll.

In ruhigen Momenten hatte ich immer wieder mit Wortkombinationen und Titelvarianten gespielt. Wichtig schien mir die direkte Verbindung vom Titel zu der Geschichte im Buch. Irgendwann standen drei Wörter auf einem Blatt: Chicago, Chevy, Charleston. Zack, zack, zack! Das gefiel mir. Als ich es drei Tage später immer noch gut fand, war die Entscheidung getroffen. Der neue Buchtitel hieß ab sofort Chicago-Chevy-Charleston. Damit war der USA-Bezug da, die Ortsveränderung und der Chevy als sachlicher Protagonist.

Nach ein paar Tagen bekam ich kalte Füße wegen des neuen Titels. Schreiben heißt auch, kontinuierlich zu recherchieren. Wenn ich nicht Details der eigentlichen Geschichte nachspürt habe, war ich ständig auf der Spur von Informationen zu Arbeitsschritten, die gerade anlagen. Ich stieß auf einen Artikel, der sich mit dem Gebrauch von Markennamen in Buchtexten beschäftigte. Der „Chevy“ kommt in meinem Buch über 100 Mal vor, und es ist ein Irrtum zu glauben, das sei was anderes als ein „Chevrolet“. „VW“ wäre hier ebenfalls gleichzusetzen mit „Volkswagen“.

Firmennamen, Produkte und Marken scheinen aber, so weit ich es richtig verstanden habe, keinen diesbezüglichen Schutz zu genießen, wenn nicht unbewiesene Behauptungen oder diffamierende Beleidigungen im Zusammenhang stehen. Was die Nennung eines Markennamens im Buchtitel angeht, dazu stand da nichts.

Im Blog der Selfpublisherbibel von Matthias Matting, einem nahezu unverzichtbaren Fundus für Selfpublisher, gibt es einen informativen Beitrag über Markennamen im Buchtext. Aber auch hier findet die Marke im Buchtitel keine Erwähnung. Ich machte eine Anfrage im Blog und bekam umgehend Antwort. Alles stände im Artikel, und es dürfe keine Rechtsberatung im Einzelfall erfolgen. Ächz!

Ich schrieb einem alten Freund und Markenanwalt und schilderte das Problem mit der Maßgabe, er solle eine Beratung abrechnen, wenn es ausführlicher werden müsste. Musste es nicht. Er rief mich zurück und erklärte, dass das unproblematisch sei. Er verwies auf Buchtitel bei Amazon, in denen „Volkswagen“ vorkommt. Danke! Später warf ich meinen „Chevy“ in die Suchfunktion von Amazon, und ein Buch mit dem Titel „Chevy Blues“ tauchte auf. Hätte ich auch früher drauf kommen können.

Auch das war eine wichtige Erfahrung: Nach der Entscheidung, mich als Selfpublisher zu versuchen, war ich auf mich alleine gestellt. Alles Weitere würde von mir bestimmt, aber auch von mir verantwortet werden. Das schließt nicht aus, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn man an die eigenen Grenzen kommt.

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Buch schreiben: Recherche

Wenn es im eigenen Roman nicht gerade um Mystery oder Science-Fiction geht, bringt die Verankerung des Plots in der Realität eine Reihe von Vorteilen. Die Geschichte wird für den Leser glaubhafter, weil nachprüfbare Fakten sie begleiten, auch wenn das nur den Rahmen betrifft. Der Autor kann auf Details zurückgreifen, die er sonst mühsam erfinden müsste wie bspw. die Beschreibung von Orten oder Strecken.

Beispiel aus dem Buch: Steves Loft, auf dessen Dach er im Jahr 1988 zunächst das riesige Billboard betrachtet, um dann mit einem Blick runter auf die Halsted Street abzuschätzen, wie lange die Schlange vor „Jim’s“ ist, wurde tatsächlich bald darauf abgerissen. Jim’s Wurstbraterei ebenfalls, aber die hat dann ein paar Blocks weiter östlich wieder aufgemacht. Es gibt sie heute noch.

Dass das Gebäude abgerissen wurde, ist weniger wichtig, als dass der Abriss schon beschlossen war, während Steve und Linda darin wohnten. Das schafft einen zeitlichen Bezug, erhöht den Druck auf beide und birgt deshalb dramatisches Potenzial für die Geschichte insgesamt. Den Abriss zu erfinden, wäre für den Autor deutlich mehr Aufwand und wird außerdem von dem Risiko begleitet, dass ein Leser bestimmte Details besser weiß. Zum Beispiel, wenn eine beschriebene Straße gar nicht existiert, oder weil historische Fakten, auf die sich der Autor bezieht, falsch sind.

Der tatsächliche Abriss hat insofern eine Relevanz, als die Geschichte vor mehreren Jahrzehnten spielt. Jeder Leser kann sofort mit Google Street View prüfen, wie die Halsted Street South aktuell aussieht und ob die Ausweitung der University of Illinois at Chicago dort heute in Form ihrer Gebäude zu sehen ist. Tut es. Wenn das nicht so wäre, würde die Glaubwürdigkeit der historischen und sozialen Einordnung verloren gehen. Das wäre umso bedauerlicher, als später so abgefahrene Leute wie die „Snake Handler“ auftreten, die es tatsächlich gibt. Schon jetzt haben mich mehrere Leser gefragt, ob die real oder erfunden sind. Wenn am Anfang die historischen Tatsachen nicht stimmen, werden weiter hinten im Buch die Zweifel eher größer.

Was ich damit sagen will: Eine glaubhafte Geschichte erfordert eine saubere Recherche. Das Internet hat da vieles leichter gemacht. Es eröffnet ganz neue Dimensionen, mit denen ein Autor wunderbar arbeiten kann. In die meisten Straßen der westlichen Welt lässt sich mit Google Street View eintauchen, als stände man persönlich auf dem Mittelstreifen. Mit Google Earth kann ich darüber fliegen, und auf YouTube finde ich oft weitere Details.

Vor und während der Schreibphase des Romans habe ich unzählige verschiedene, jeweils spezielle Fragestellungen recherchiert – meist mit großem Vergnügen und immer mit dem spontanen Drang, tiefer in diese Themen einzudringen, als es für die eigentliche Geschichte notwendig war.

Recherche beim Schreiben hatte für mich zwei Richtungen. Entweder habe ich etwas gesucht, oder ich wollte einen Umstand auf Richtigkeit und Plausibilität abklopfen.

In dem auf dem Dachboden gefundenen Exposé endete Steves Reise an einem kleinen, eher touristischen Badeort in South Carolina. Die Geschichte, wie sie im Buch steht, stellte aber ein paar eindeutige Anforderungen. Der Zielort musste über einen Tiefwasserhafen oder wenigstens über ein Hafenbecken verfügen, das eine Mindesttiefe hat. Außerdem sollte es dort eine Universität oder andere hochschulähnliche Ausbildungsstätten geben. Alles in allem war ein Ziel gefragt, wo der Leser nicht sofort denkt, um Himmels Willen, warum gerade da, und der Autor weiß keine Antwort. Irgendwie hätte der Badeort schon passend gemacht werden können, aber es gab keine Hochschulen und erst recht keinen vernünftigen Hafen. Im Angebot waren ausschließlich Touristen, Rentner und Spaßboote. Nicht gut.
An diesem Punkt kam die Recherche ins Spiel. Da die Himmelsrichtung von Steves Reise gegeben war, musste ein Ort an der südöstlichen Atlantikküste der USA gefunden werden, also South Carolina oder Georgia. Was Florida angeht, hätte seine Reiseroute von vornherein anders ausgesehen.

Wer sich diese Küsten im Detail anschaut, sieht eine zerklüftete Struktur aus vielen einzelnen Sumpfinseln. Die meisten davon sind unbewohnt, auf einigen stehen Ferienanlagen oder Hotels. An der nördlichen Ecke, kurz vor North Carolina, kommen Sandstrände, die fast immer gepaart sind mit dichter Bebauung. Häfen, die für mehr taugen als Sportboote: Fehlanzeige. Nun ist diese Küste hochgradig hurrikan-gefährdet, und im Hinterland gibt es nichts, wofür ein richtiger Hafen lohnt. Der einzige Hafen ist dank einer Flussmündung ein sicherer Naturhafen. Und als der Einzige weit und breit gehört er zu den wichtigsten der USA: Charleston, South Carolina. Zugegeben, um hier zu landen, hätte bei der Recherche wohl der alte Dierke Schulatlas gereicht, aber spätestens an den Details wäre er gescheitert.
Also wurde Charleston der neue Endpunkt von Steves Reise. Das erwies sich auch in anderen Aspekten als Glücksfall. Charleston hatte 1988 eine überschaubare Einwohnerzahl (auch das lässt sich unkompliziert recherchieren). Die Stadt spielt in der Geschichte der USA eine wichtige Rolle (positiv wie negativ), verfügt über ein traumhaft schönes historisches Stadtbild und eine autorenfreundliche Infrastruktur, die vom Busbahnhof bis zum Nachtclub nichts auslässt.

Das Sahnehäubchen zeigte sich in Form des Charleston Navy Yards, einer riesigen Werft und Trockendockanlage, ursprünglich im Besitz der amerikanischen Marine. Falls jemand das Buch erst lesen will, möchte ich nicht zu viel erzählen. Aber diese Einrichtung, die sich über mehrere Kilometer entlang des Cooper River zieht, war ideal für meine Geschichte. Man könnte dort ganze Serien von Büchern platzieren und die Verfilmung gleich dazu. Für die Recherche gab es im Fall des Navy Yards über das gewohnt gute Material von allen Google Diensten hinaus jede Menge Archivunterlagen in digitaler Form. Außerdem Webseiten historischer Organisationen, von der City of Charleston bis hin zum Militär.

Gehen wir vom Großen ins Kleine und von der Suche zur Überprüfung. Gesetze, Vorschriften und regionale Gebräuche sind ein Thema, bei dem schon im Alltag genügend Unwissen und daraus resultierende Fragen auftauchen. Das lässt sich steigern, wenn es um fremde Länder und lang zurückliegende Zeiträume geht.

Alle, die mal in den USA waren, kennen die personalisierten Nummernschilder, sogenannte „Vanity Plates“ wie zum Beispiel I LV BEER (an einem Wagen aus Wisconsin, America’s Dairyland). Im Buch fährt der Chevrolet-Händler John Ford eine Corvette mit der Nummer JFORD 1, zum einen, weil er so heißt, aber auch, um damit den lokalen Ford- Händler ein bisschen aufzuziehen. Es war nicht schwer herauszufinden, dass es bereits in den 80er Jahren die Vanity Plates in South Carolina gab und die genannte Kombination aus Buchstaben und Zahlen den Vorschriften entsprach. Schwieriger wurde es bei der Frage, ob man ein bestimmtes Nummernschild von einem Wagen an einen anderen wechseln darf, erst recht, wenn verschiedene US-Bundesstaaten ins Spiel kommen.

Nun ist dies hier kein Lehrgang, wie man recherchiert, sondern mein Hinweis, dass Recherche ein wichtiger Bestandteil glaubhafter Geschichten ist. Trotzdem die Anmerkung: Auch diese Frage konnte in Kooperation von Wikipedia, dem amerikanischen Automobilclub AAA und diversen Webseiten, die sich mit dem Import von Autos in die USA beschäftigen, befriedigend beantwortet werden.

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